Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit
Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
Integration in Europa

Samson und H. / Kurt Kurban

von H. / März 2010

Anfang Februar erhielt unser Mitbewohner H. die freudige Nachricht, dass er nach langen Jahren des Hoffens und Bangens als Asylberechtigter voll anerkannt wurde. Im Folgenden, unter einem Pseudonym, H.’s Reflektion über seinen Weg bis zu diesem Punkt.

Mit elf Jahren bin ich mit meiner Familie von Mesopotamien nach Deutschland  gekommen. Es war eine Reise in die Freiheit. Man kann diese Reise auch eine Flucht nach Europa nennen, in dem die Menschenrechte wie Liberté, Egalité, Fraternité (Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit) schon seit 1792 ihren Ursprung haben. Man flüchtet, weil man aufgrund seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt wird.

Mein Vater stellte in Deutschland einen Asylantrag, weil er als Kurde auf Grund der oben genannten Aspekte verfolgt bzw. benachteiligt wurde. Er ist immer noch davon überzeugt, dass seine Freiheit, an die er glaubt, hier in Deutschland und in den meisten europäischen Verfassungen verankert ist. In der Türkei ist es nicht einfach, als Kurde zu leben. Das Minderheitsvolk wurde vor allem im Ausnahmezustandsgebiet in Mesopotamien, zwischen Euphrat und Tigris, vom Staat massiv unter Druck gesetzt.

Und so beantragte auch ich im Namen des Vaters Asyl. Als Minderjähriger hat man keine andere Wahl. Irgendwann mal, nach ungefähr neun Jahren, kam die tragische Nachricht, die die meisten Flüchtlinge (weit über 97 %) bekommen. Der Asylantrag wurde kurz nach der Antragstellung abgelehnt, und fast ein Jahrzehnt später wurde einem Teil der Familie die Abschiebung angedroht. In dieser Zeit lagen meine Hauptinteressen bei Schule und Sport. Als ich am Ende der zwölften Klasse war, kam die erschreckende Nachricht: Die Verpflichtung zur unverzüglichen Ausreise. Ich dachte, man würde mich niemals ohne meine Familie wegschicken. Meinen Vater konnte die Behörde mit den minderjährigen Kindern nicht abschieben, da das Asylverfahren meiner Mutter noch lief. Aber mich wollte die Behörde mit der Begründung abschieben, dass mein Asylverfahren abgeschlossen sei und ich als Volljähriger ausreisen könne.

Ich konnte und wollte es nicht. Die Gründe waren einfach menschlich: Ich wollte mich von meiner Familie nicht trennen. Ich wollte hier Abitur machen und studieren. In der Türkei wartete der Militärdienst auf einen volljährigen Knaben wie mich. Dank vieler gutmütiger Menschen wurde mir der Aufenthalt verlängert, bis ich das Abitur beendet hatte. Das geschah ohne den Willen der Ausländerbehörde, die für mich zuständig war. Die Integration in der Schule und das soziale Gefüge der Gesellschaft wurden ignoriert. Als ich angefangen hatte zu studieren wurde mir wieder angedroht, „freiwillig“ auszureisen. Die „freiwillige Ausreise“ wurde das Unwort 2006. Mit den Abschiebungsdrohungen unter der beschönigenden Bezeichnung der „freiwilligen Ausreise“ sollte ich gezwungen werden, die BRD zu verlassen. Ich sollte Europa verlassen und einfach in die Türkei zurückkehren und möglicherweise mit einer Waffe kämpfen. Ich wollte weder töten noch getötet werden. Ich konnte mir nicht vorstellen, im Militär tätig zu sein. Im Studium wurde ich unter enormem Druck der Behörde in die „Illegalität“ getrieben. Mir wurde sogar das Recht auf Bildung verwehrt. Ich konnte keine Studienbewilligung beanspruchen, obwohl mehrere Leute sich bereit erklärten, für mich die Unterhaltskosten zu übernehmen.

Ich studierte drei Semester lang, zwei davon illegal. Aber meiner Familie wurde angedroht, mich in jedem Zimmer der Universität zu suchen und unverzüglich abzuschieben. Bei jedem gesunden Menschen könnte so etwas Paranoia auslösen.

“Ihr sollt wissen, dass kein Mensch illegal ist. Das ist ein Widerspruch in sich. Menschen können schön sein oder noch schöner. Sie können gerecht sein oder ungerecht. Aber illegal? Wie kann ein Mensch illegal sein?" sagte Elie Wiesel, Friedensnobelpreisträger des Jahres 1986. Asyl ist und bleibt ein Menschenrecht.

Sich der Gewalt des Staates durch den Schritt in die „Illegalität“ zu entziehen, war am Anfang eine Befreiung. Die Erleichterung wurde manchmal mit Angst überschattet. Mit der Zeit wurden die Hoffnungen zur Perspektivlosigkeit. Aber den Glauben an Integration und Globalisierung gab ich niemals auf, obwohl ich immer deutlicher die Existenz einer Parallelgesellschaft wahrnahm, in der viele Menschen sich von der Gesellschaft isoliert vorfanden. Diese Parallelgesellschaft wird von den meisten Bürgern als abstraktes Phänomen wahrgenommen, ist aber für viele andere bittere Realität.

Nach einigen Jahren wurde der Asylantrag meines Vaters doch positiv entschieden. Alle Familienmitglieder sind jetzt deutsche Staatsbürger. Viele Menschen aus der hessischen Region und alle 16 Flüchtlingsräte in der Bundesrepublik kannten meinen Fall, konnten mir aber leider nicht helfen, auch wenn ich nun nach dem Gesetz „deutsche“ Eltern hatte. Ich wurde nicht als Familienangehöriger gesehen, und so verweigerte mir die Behörde einen legalen Status. Ich konnte sie nicht verstehen und gab die Hoffnung auf.

Zum Glück gibt es Menschen, für die Menschen zu helfen kein Verbrechen ist. Sie setzen sich der Gesetzeslage zum Trotz für einen „Illegalen“ ein.

Nach sieben Jahren ohne legalen Status wurde ich dann doch als Flüchtling anerkannt, so wie es auch meinem Vater zugesprochen worden war. Ich war zwei Monate in der Gästewohnung in Hamburg gewesen. Das Team, das die Gästewohnung leitet, bezeichne ich als „Weiße Rose“. Danach wurde ich herzlich bei der Basisgemeinschaft „Brot & Rosen“ aufgenommen. Fast acht Monate dauerte dies alles – unter der Obhut der Kirche in Hamburg – bis ich offiziell ein Teil der Gesellschaft wurde, was ich eigentlich schon immer gewesen war.

Einen ganz großen Dank möchte ich hier aussprechen an die Flüchtlingsbeauftragte Fanny Dethloff und ihr Team, darunter das Team der Gästewohnung (Christel Seiler, Pirkko Andresen, Karin Baier, Gisela Nuguid und Bedrettin Bayval) und an Brot & Rosen (Dietrich, Uta, Birke, Elisabeth, Ilona, Christiane, Edouard, Leila, Ludmilla, Marcia, Salome, Kika, Nikolos, Jonas, Joel, Elias, Daniel, Lea, Marcus, Lisa & Samson), an Rechtsanwalt Claudius Simon Brenneisen, sowie an alle anderen, die sich lieber im Hintergrund aufhalten: Die Spender für die Flüchtlinge. Dank an euch alle!!! Macht weiter so!

Herzliche Grüße von Kurt Kurban



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