Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit
Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
Verloren - und gerettet?!

von Jens-Christian Falk / September 2010

Am internationalen Tag des Flüchtlings, 20.06.2010, ge­staltete die Gruppe „Gästewohnungen helfen“ einen Gottesdienst. Die Predigt von Pastor Jens-Christian Falk von der Evangelisch-lutherischen Thomaskirche in Hamburg-Bramfeld drucken wir in leicht gekürzter Form ab.

Lesung aus dem Lukasevangelium, 15. Kapitel, Verse1-10

„Es nahten sich ihm aber allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören.

Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.

Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach:

Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eins von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er's findet?

Und wenn er's gefunden hat, so legt er sich's auf die Schultern voller Freude.

Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.

Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet?

Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte.

So, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.“

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde, ihr habt aus der Heiligen Schrift den Predigttext gehört: vom verlorenen Schaf, vom verlorenen Groschen.

Traditionell werden diese Gleichnisse Jesu so ausgelegt, dass es sich bei den Verlorenen um Menschen handelt; Menschen, die vor Gott nicht bestehen, die in den klassischen Worten der Verdammnis anheim fallen, weil sie Sünder sind. In diesem Sinne, können wir uns alle da einreihen: an den strengen Maßstäben Gottes scheitern wir und können ihm nicht genügen.

Da braucht es einen Rettungsring, einen Helfer, als den wir Jesus, unseren Heiland, immer bezeichnen. So weit die traditionelle Auslegung der Gleichnisse.

Angesichts des heutigen Tages denke ich noch einmal neu über das Stichwort „verloren“ nach. Vielleicht sind gar nicht wir alle die Verlorenen; und es kommt eventuell noch viel mehr auf das Stichwort „Freude“ an. „Freut euch mit mir“, heißt es beide Male in dem Gleichnis, „denn ich habe wieder gefunden, was ich verloren hatte.“

Bei dem Stichwort „verloren“ bin ich dann bei dem schwierigen, oft beiseite geschobenen Thema Flucht. Da sind Menschen, die es in einer Situation nicht aushalten, nicht mehr anders können als abzuhauen; Menschen die im Krieg leben, in der Angst, aus irgendwelchen Gründen der Rasse, der Nation, oder aber aus Hunger ihr Leben zu verlieren. Sie gehören zu den Verlierern, oder auch, wenn sie das rettende andere Ufer, die neue Heimat nicht erreichen, zu den Verlorenen. Dann wäre der Gegenbegriff zu „verloren“ nicht etwa „gefunden“, sondern „gerettet“, oder „erlöst“.

Das ist auch ein sehr wohl christlicher Begriff; wie oft wird in der Bibel von Errettung und Erlösung gesprochen.

Ich glaube, dass Menschen, die unfreiwillig ihre Heimat verlassen, in dieser Weise verloren sind, entwurzelt, dass sie Rettung brauchen, Hilfe und Unterstützung.

Fakt ist aber, dass wir Europäer ihnen diese Hilfe und Rettung einfach versagen, sie vor unseren Grenzen im Meer ertrinken lassen beziehungsweise, wenn sie es doch bis zu uns geschafft haben, sie abschieben.

Stattdessen bräuchten sie unsere „Freude“, unser Mitfreuen, dass sie nicht verloren sind. Denn es ist ja gar nicht so, dass wir – trotz aller möglichen Probleme – reichen Europäer überlastet wären oder überfordert durch die hohe Anzahl von Flüchtlingen und Verlorenen.

Heute sind in der ganzen Welt ca. 45 Mio. Menschen auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung und Hunger; aber am stärksten belastet durch solche Flüchtlinge sind die jeweiligen Nachbarländer; etwa 80 % aller Flüchtlinge leben in den armen Entwicklungsländern.

Und die wohlhabenden Industrieländer machen mit Zäunen und Mauern ihre Grenzen dicht, damit sie die Elenden nicht zu Gesicht kriegen. Flüchtlinge werden wie Feinde behandelt, die abgewehrt und ausgesperrt werden müssen, sowohl in Europa als auch in den USA. Und wenn sie über das Meer als Bootsflüchtlinge unsere europäischen Länder zu erreichen suchen, so werden sie abgefangen und zurückgeschickt. Wer als guter Seemann die von Menschen überladenen Boote als in Seenot befindlich erkennt, z.B. im Mittelmeer, kann leicht vor Gericht gestellt werden. Menschen, die Rettung für die Verlorenen bringen wollen, werden bei uns kriminalisiert: Zwar wurde der Lübecker Kapitän der „Cap Anamur“, Stefan Schmidt, nach einem 3jährigen Verfahren freigesprochen. Aber die tunesischen Fischer, die 44 Menschen, die sie zuvor aus Seenot gerettet hatten und auf die italienische Insel Lampedusa bringen wollten, wurden wegen Beihilfe zur illegalen Einreise zu 2 ½ Jahren Haft verurteilt. So werden Europas Grenzen verteidigt.

Ich habe erschütternde Zahlen in dieser Woche gelesen, nämlich, dass bis Ende letzten Jahres rund 15.000 Menschen entlang unserer Außengrenzen ums Leben gekommen sind; davon Todesfälle auf See: vor den kanarischen Inseln = 600 Tote, bei Gibraltar = 6.000 Tote, vor Lampedusa = 1.500 Tote, in der Adria = 600 Tote, in der Ägäis = 400 Tote. Das sind die wirklich Verlorenen und Verdammten. Warum sagen wir nicht einfach, wenn Menschen aus Seenot gerettet werden: ‚Gott sei Dank!’ und freuen uns, wie im Gleichnis vom Verlorenen über die Maßen doll? Wenn jemand den Weg nach vielen Strapazen bis nach Deutschland schafft, dem Krieg, der Verfolgung entkommt, sollten wir uns unendlich freuen und ihm Schutz geben – nicht wahr? Aber unsere Behörden freuen sich nicht, sondern schieben ab, auch hier aus Hamburg. Und wenn jemand hier in Deutschland in einer Stadt illegal lebt, warum sagen wir nicht einfach: Er ist der Verfolgung und dem Verhungern entkommen, lasst uns darüber fröhlich sein und ihn unterstützen, so wie die Bibel es nahe legt? Denn wenn wir teilen, ihn und seine Familie fröhlich aufnehmen, dann gehören sie nicht mehr zu den Verlorenen, sondern sind gefunden und gerettet. Vielleicht können Sie, liebe Gemeinde, die Freude verstehen, wenn nach einem Kirchenasyl, wo Menschen aus der Bedrohung heraus endlich als Flüchtlinge anerkannt werden und den ihnen zustehenden Schutz bekommen, wenn da Freude und Jubel ausbrechen. Und auch in der Gruppe, die die Bewohner der Gäste-Wohnung begleitet, stellt sich Freude ein, wenn diese Menschen endlich anerkannt werden, Wohnung und Arbeit bei uns finden. Und wahrscheinlich fangen sie dann an zu singen: „Freut euch mit uns! Denn die verloren waren, sind gefunden, sind aus dem Meer gefischt und gerettet.“

Natürlich ist die Kehrseite die, wenn es nicht gelingt, die Verlorenen zu retten, wenn sie elendiglich vor den Küsten Europas absaufen, dass wir dann auch miteinander traurig sind und unsere Klagen vor Gott bringen. Und dazu sind wir am internationalen Tag des Flüchtlings heute hier zum Gottesdienst versammelt, dass wir beten und die Toten beklagen.

Aber in gleicher Weise auch, dass wir jubeln und uns freuen, wenn verloren geglaubte, oder zum Untergehen verurteilte Menschen einfach nur gerettet werden – Gott sei Dank! Amen.



Mittragen

Unsere Gastfreundschaft für obdachlose Flücht­linge wird erst mög­lich durch Spenden und ehren­amtliche Mitarbeit
weiter...

Mitfeiern

Hausgottesdienste, Offene Abende und immer wieder mal ein Fest: Herzlich will­kommen bei uns im Haus der Gast­freund­schaft
weiter...

Mitbekommen

Möchten Sie regel­mäßig von uns hören und mit­bekommen, was pas­siert? Abonnieren Sie am besten unseren kosten­losen Rundbrief
weiter...

Mitleben

Immer wieder fragen uns interessierte Menschen, ob und wann sie uns be­suchen kommen können. Wir freuen uns sehr über dieses Inter­esse.
weiter...