Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
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Leben in Gemeinschaft
Ein Sommer in Los Angeles - The Only Solution is Love

von Viola Engels / September 2005

1933 eröffnete Dorothy Day zusammen mit Peter Maurin in New York das St. Josephs-Haus, um getreu der Bergpredigt "Hungernde zu sättigen, Obdachlose aufzunehmen, Kranke zu pflegen, Nackte zu kleiden und Gefangene zu besuchen" und um gewaltfreien Widerstand gegen die herrschenden Macht- und Unrechtsverhältnisse zu leben. Bis heute entstanden überall in den Staaten, aber auch weltweit, über 150 Catholic Worker-Häuser. Eines davon ist das Ammon Hennacy-Haus in Los Angeles/Kalifornien. Die dort lebende Gemeinschaft bietet jedes Jahr ein Sommerprogramm für ca. sechs Leute an. Um die Wurzeln der CW-Bewegung kennen zu lernen und den Kontakt zwischen unserer und der LACW-Gemeinschaft zu vertiefen, entsandte mich Brot & Rosen für den diesjährigen Sommer nach L.A.

Die L.A.-Catholic Worker-Gemeinschaft wurde 1970 gegründet. Zurzeit leben neun Gemeinschaftsmitglieder und zehn obdachlose Gäste im Ammon Hennacy-Haus der Gastfreundschaft in Boyle Heights, einem stark mexikanisch geprägten Stadtteil im Osten von Los Angeles.

In diesem Sommer nahmen außer mir drei weitere Frauen und zwei Männer aus den USA am Sommerprogramm teil. Wir teilten Leben und Arbeit der LACW-Gemeinschaft:

In L.A. sind - laut "Los Angeles Times" vom 27.6.2005 - 90.000 Menschen obdachlos; ein großer Teil von ihnen lebt auf den Straßen des alten Industrieviertels und Ghettos Skid Row in der Innenstadt von L.A. Dort betreibt die LACW-Gemeinschaft eine Suppenküche mit Garten, bekannt als "Hippie Küche".

An drei Tagen in der Woche bereiteten wir mit einer großen Gruppe von Freiwilligen eine zumeist aus Bohneneintopf, Salat und Brot bestehende Mahlzeit vor und servierten diese an 1000-2000 Menschen. Besonders der Garten ist - inmitten einer Betonwüste ohne Bäume und Schatten bei oft mehr als 40 Grad Celsius - eine Oase, in der die Leute aus Skid Row sich ausruhen und frisches Wasser erhalten können. Außerdem geben die LACW an bestimmten Tagen Hygieneartikel und nicht-verschreibungspflichtige Medikamente aus, betreiben eine kleine Bibliothek (in der mensch sich NICHT ausweisen muss, wie es sonst üblich ist) und stellen ihre Räume für ÄrztInnen sowie den Austausch von Spritzen für Drogenabhängige zur Verfügung.

An zwei weiteren Tagen teilten wir Frühstück für 100-200 Leute in Skid Row aus, mittwochs zusätzlich eine abendliche Suppe und Brot.

Seit dem 11.9.2001 hält die LACW-Gemeinschaft jeden Tag (außer sonntags) eine Mahnwache gegen den Krieg vor den Justiz - und Verwaltungsgebäuden der Stadt. Mittwochs nahmen wir alle zusammen daran teil und gingen schweigend und mit Transparenten, einer Ikone und einer Trommel um den riesigen Gebäudekomplex herum, mahnten vor dem Haupteingang an die Opfer des Irakkriegs und verlasen die vom Staat freigegebenen Namen der in der zurückliegenden Woche getöteten US-Soldaten. Einmal im Monat hielten wir eine Mahnwache für ein Ende der Todesstrafe und verlasen die über 900 Namen der seit Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahre 1976 hingerichteten Menschen.

Der Mittwoch bestand aus theologischen Studien mit verschiedenen GastrednerInnen sowie einem Abendgottesdienst mit dem Freundeskreis des Hauses. Freitags kamen weitere Gäste für die sog. „Cultural Critique“, um uns über Themen wie die Situation der Menschen in Skid Row oder die atomare (Weiter-)Bewaffnung der USA zu informieren.

An einem weiteren Abend pro Woche gingen ein paar von uns mit in eine AIDS-Klinik, um den dort Wartenden Gespräche und Erfrischungen anzubieten. Die LACW-Gemeinschaft hält in ihrem Haus selbst ein Zimmer für schwerst­kranke und sterbende Ob­dachlose bereit, die hier bis zu ihrem Tod begleitet werden können.

Acht mal pro Jahr gibt die Gemeinschaft ihre Zeitung, den "Catholic Agitator", heraus.

So bestanden unsere sechs Wochen Sommerprogramm aus intensiver Arbeit, einem straffen Wochenplan und vielen thematischen Impulsen - aber auch aus „Happy Hours“, Pool-Party-Einladungen und Internationalen Abendessen. Die Sonn- und Montage waren frei - mit Zeit für Besuche in der benachbarten befreiungstheologischen katholischen Gemeinde, Spielen, Musizieren, Ausflüge, Nichtstun. Hinzu kamen besondere Ereignisse wie ein "Hospitality-Day", an dem ca. 15 Leute aus Skid Row hier ins Ammon Hennacy-Haus kamen, sich erholen, gut essen, duschen, schlafen, spielen und sich in Ruhe unterhalten konnten. An drei weiteren Tagen fuhren wir mit 60 Obdachlosen in einen Park und veranstalteten ein riesiges Picknick in wohltuend grüner Landschaft.

Während meiner Zeit in der LACW-Gemeinschaft konnte ich auch viel von ihrer Widerstands-Arbeit miterleben. So hatten sowohl David wie Catherine von der Gemeinschaft in diesen Tagen ihre Gerichtsverfahren, weil sie auf den Stufen des Bundesgebäudes einen Friedensaltar errichtet hatten. Beide wurden zu einigen Tagen Gefängnis verurteilt und traten diese sofort an.

Am 6. August gedachten wir des 60. Jahrestages des Atombombenabwurfs auf Hiroshima, indem wir zusammen mit 500 Menschen in Las Vegas gegen die atomare Aufrüstung und drohende Wiederaufnahme von Atomwaffentests in der Nevada Wüste protestierten. Um ein Zeugnis für den Frieden abzulegen, überschritten wir zusammen mit 250 anderen die Grenze des atomaren Testgebietes und wurden sofort festgenommen. Wir wurden für einige Stunden in einem Lager unter freiem Himmel festgehalten, nach der Feststellung unserer Personalien aber wieder freigelassen. Diese gewaltfreie Aktion hat mich tief berührt - es hatte große Kraft, gemeinsam für den Frieden zu singen, zu beten, zu diskutieren und einen Friedensaltar aus Steinen von der geschundenen Erde des Test-Gebietes zu bauen.

Es sind die unzähligen kleinen Begegnungen während dieses Sommer-Programms, die mich mehr gelehrt haben, als ich mit Worten ausdrücken kann:

Zu sehen, wie in der Suppenküche alles mit den Menschen von der Straße geteilt wird - auch die letzten Kekse. Zu erleben, wie die Suppe an einem Mittwochabend einmal nicht ganz reicht, aber ein paar der Leute ihren Teller Chili­bohnen weitergeben. Dabei zu sein, als ein Mann im Suppen­küchengarten ruft: "Give a clapping hand for the Hippie Kitchen!" - und alle mitklatschen. Zu spüren, wie gut kleine Gesten der Aufmerk­samkeit in fremder Umge­bung tun. Fassungslos zu sein angesichts der Flut von Schildern in Skid Row, auf denen steht: "Das Sitzen, Liegen oder Schlafen auf den Bürgersteigen ist verboten!". Die "magischen" Grenzen zwischen zwei Stadtteilen und Straßenseiten zu erfahren - auf der einen Seite werden Obdachlose einigermaßen geduldet, auf der anderen Seite brutal vertrieben. Nach dem allerersten Suppenküchentag sich plötzlich nach dem Abschlussgebet zu sehnen. Zu verzweifeln angesichts der Nachricht, dass die Müllabfuhr den Obdachlosen ihr Hab und Gut stiehlt. Mich zu freuen über die häufige Unterstützung unserer Mahnwachen gegen den Irakkrieg durch PassantInnen und AutofahrerInnen. Mit anderen gemeinsam darüber nachzudenken, wie Krieg und Aufrüstung den Armen das Lebensnotwendige stehlen - in Skid Row haben die Menschen z.B. keinen freien Zugang zu Trinkwasser oder zu Toiletten. Sich wieder und wieder daran erinnern zu lassen, Jesus in den Armen zu sehen - "and not to serve food but to serve people" („und nicht Essen zu servieren, sondern Menschen zu dienen“). Zu lernen, die Frage der Bettler nach Geld als "Straßensteuer" zu sehen. Mitzukriegen, dass unter Ronald Reagan der psychiatrische Notdienst abgeschafft wurde, so dass die LACW-Leute selber mit einem akut psychisch erkrankten Gast zurechtkommen müssen. Zu lesen, dass die USA bereits länger Krieg führen als während des Zweiten Weltkrieges, wenn man den 11.9.2001 als den Beginn des "Krieg gegen den Terror" rechnet. Sprachlos zu sein angesichts der Erzählung über eine obdachlose Frau, die ihren Einkaufswagen gegen die sie drangsalierenden Polizisten mit einem Schraubenzieher verteidigen wollte - und von den Polizisten erschossen wurde. Ein organisatorisches Treffen mitzukriegen, bei dem niemand einen Kalender dabei hat. Bekocht zu werden von zwei mexikanischen franziskanischen Nonnen in vollem Habit. Mit einer Frau aus Skid Row Weltreisen per Zeigefinger in einem Atlas zu unternehmen. "Down by the Riverside" gegen Wachpersonal und Gefängnismauern zu singen. Nicht zu wissen, wie ich neue Fakten über die nukleare Weiterrüstung und atomare Bedrohung der Menschheit verarbeiten soll. Zu erfahren, dass illegalisierte Menschen in den Staaten Papiere kriegen, wenn sie zum Militär gehen und sich in den Krieg schicken lassen. Ein Arbeitstreffen zu verpassen - und sich fröhlich für den Rest der Woche verplant wieder zu finden ...

Es gibt Erkenntnisse dieser meiner Zeit in Los Angeles, die mich nicht mehr loslassen:

  • Das Austeilen einer Suppe ist kein Werk der Barmherzigkeit, sondern der Gerechtigkeit.
  • Obdachlosigkeit hat unmittelbar mit jeder und jedem von uns zu tun. Und das nicht nur, weil viele mit einem "normalen" Lebensstil nur EINE unbezahlte Rechnung von Obdachlosigkeit entfernt sind, sondern weil das, was die einen zuviel haben, den anderen das Lebensnot­wendige vorent­hält. "Niemand sollte zwei Häuser haben, bevor nicht alle in Würde ein Dach über dem Kopf haben."
  • "Einige sind schuldig, aber alle sind verantwortlich" - für Frieden und Gerechtigkeit.
  • Wenn Du Frieden willst, dann arbeite für Gerechtigkeit.
  • Meine Hoffnung ist mit der Hoffnung anderer untrennbar verknüpft - die Gerechtigkeit und Würde, die wir uns für uns selber wünschen, können wir dieser Welt nur selber hinzufügen.
  • Mich einlassen auf den Menschen und die Situation, die JETZT vor mir sind, bedeutet auch, mein Brot zu teilen - und nicht darauf zu warten, dass z.B. der Staat dies eines Tages tut,
  • das Klo selber zu putzen, wenn einem älteren Obdachlosen ein Missgeschick passiert ist und
  • die Atomwaffen selber abzurüsten, die das Leben der nächsten zehntausend Generationen zu verseuchen drohen.

Ich bin beiden Gemeinschaften - Brot & Rosen und den LA-Catholic Worker - zutiefst dankbar dafür, dass sie mir dieses Sommerprogramm ermöglicht haben!

Inspiriert kehre ich von der einen in die andere Gemeinschaft zurück, bringe viele lebendige Grüße von den LACW an die Hamburger und europäische CW-Familie und ihre UnterstützerInnen mit und freue mich daran, dass an so verschiedenen Orten dieser Erde jeden Tag geschieht, was Catherine Morris von den LACW uns mit auf den Weg gegeben hat: „Zweifle niemals daran, dass eine kleine Gruppe aufmerksamer, engagierter BürgerInnen die Welt verändern kann; tatsächlich gibt es keine andere Möglichkeit.“ (Margaret Mead)



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