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Eine Welt, die Leben auf Erden gelingen lässt

"Multikulti"-Gebäckteller beim 15-Jahre-Fest

von Rosmira Hannemann-Mezu / Dezember 2011

Zum Auftakt der interkulturellen Woche im September hielt Rosmira Hannemann-Mezu diese sehr persönliche Ansprache über Migration und Integration in der Martin-Luther-King-Kirche in HH-Steilshoop.

Die Geschichte von Rut und Naomi ist eine bekannte Geschichte aus früheren Zeiten. Lange her und doch gar nicht so weit weg, wie es vielleicht auf den ersten Blick scheint.

Die Geschichte von Rut und Naomi ist eine Geschichte über Migration und Integration, eine Geschichte über Zuneigung und Liebe, über Fragen und Zweifel, aber auch eine Geschichte über Zusammenhalt und Zukunft. Sie beginnt mit einer Hungersnot – einer Not, wie wir sie von den bewegenden Bildern kennen, die aus den ärmsten Ländern um die Welt stammen. Wo es nichts mehr zu essen gibt, fehlt im elementarsten Sinn die Lebensgrundlage. Da fehlt auch jede Zukunftsperspektive, weshalb immer wieder Menschen aufbrechen, sich auf die Reise machen und ihre Heimat verlassen, auf der Suche (nicht nur) nach einem besseren Leben, „Multikulti“-Gebäckteller beim 15-Jahre-Fest – mit Dank an Christina Dwengersondern überhaupt nach Leben.

Diese Geschichte hat auch mit meiner eigenen Geschichte zu tun. Davon möchte ich euch erzählen.

Ich bin nicht nach Deutschland gekommen wegen irgendeiner Hungersnot oder eines Krieges, der Grund meiner Reise war die Liebe. Dennoch gibt es viele Parallelen zwischen der Geschichte von Rut und Naomi und meiner.

Ich bin mit meiner damals 12-jährigen Tochter am 26. Dezember 1999 nach Deutschland gekommen. Drei Monate zuvor starb meine Mutter in Kolumbien. Das war der erste Schicksalsschlag, den ich erleiden musste.

Dann nach vier Jahren Ehe kam das Ende der Liebe, des Grundes, weshalb ich mein Land und meine Familie verlassen hatte. Aus dieser Ehe war bereits ein Kind auf die Welt gekommen. Als ich mich von meinem Mann trennte, hatte ich auch schon mit meinem Studium an der Universität angefangen.

Ich überlegte mir, was ich nun machen sollte, und ich brauchte fast zwei Jahre, um die richtige Entscheidung zu treffen. In meinem Kopf waren tausend Fragen, die ich nicht beantworten konnte. Einerseits wollte ich nach Kolumbien zurückkehren, um wieder mit meiner ganzen Familie zusammen zu leben. Diese Möglichkeit lag mir am Herzen. Anderseits wollte ich hier bleiben, denn ich musste diese Entscheidung nicht nur für mich treffen, sondern ich musste ebenfalls an die Zukunft meiner Kinder denken. Meine große Tochter hatte in Deutschland schon ihr Zuhause gefunden, und die Kleine hatte auch das Recht, in ihrer Heimat und Kultur aufzuwachsen. So bin ich geblieben.

Mir war bewusst, dass hier zu leben bedeuten würde, mich auf den langwierigen Prozess der Assimilation und der Integration einzulassen. Dieser Prozess war weder einfach noch selbstverständlich, denn ich musste das Gleichgewicht zwischen der deutschen Kultur und meiner Identität finden. Ich musste lernen, eine völlige neue Sprache und eine andere Denkweise zu verstehen.

Zwischen Nostalgie, Heimweh, Streben nach Glück, großer Mühe und Hoffnung sind elf Jahre vergangen. Wie bei Rut und Naomis Geschichte habe auch ich um das Überleben in einem fremden Land viel kämpfen müssen: kämpfen, um akzeptiert zu werden, kämpfen, um verstanden zu werden, kämpfen, um gleichbehandelt zu werden. Manchmal musste ich gegen Diskriminierung kämpfen.

Im Hinblick auf die Sprache: Am Anfang habe ich mit Händen und Füßen kommuniziert, danach musste ich die Angst vor Sprachfehlern überwinden. Und heute sehe ich in einigen Situationen die Notwendigkeit, Menschen zu sensibilisieren und ihnen bewusst zu machen, dass für den Erwerb einer zweiten Sprache nicht nur persönlicher Wille und Interesse entscheidend sind, sondern auch die Toleranz, die Akzeptanz und die Geduld der Einheimischen gegenüber den Einwanderern.

Im Hinblick auf die Integration möchte ich Martin Luther King Jr. zitieren: „Integration ist sinnlos ohne Teilhabe an der Macht. Wenn ich von Integration spreche, dann meine ich keine romantische Mischung der Rassen, sondern eine wirkliche Aufteilung von Macht und Verantwortung.” Diese Meinung vertrete ich auch.

In meinem persönlicher Geschichte bedeutet dies: Trotz eines erfolgreich abgeschlossenen Studiums in Kolumbien und noch eines zweiten Abschlusses an der Universität Oldenburg, Niedersachsen, darf ich deutschen Schülern keinen Spanischunterricht geben. Trotz meiner Bemühung reichen meine deutschen Sprachkenntnisse und Kompetenzen angeblich nicht, um eine Tätigkeit als Lehrerin an einer deutschen Schule auszuüben.

In der Geschichte Ruts zeigt sich, dass Gott mit uns geht und solidarisch ist, dass Gott den Armen, den Migranten und Flüchtlingen zur Seite steht. Das ist die verrückte Logik Gottes! Gott nimmt sich der Schwachen und Armen an und befähigt sie dazu, selbst aktiv zu werden, Subjekte ihres Lebens zu sein, um schließlich auch Gottes befreiendes Handeln für die Welt auszuführen.

Wenn wir auch heute auf der Suche nach Gott sein wollen, dann führt uns die Geschichte von Rut und Naomi genau zu Ihm, denn er steht auf ihrer Seite.

Deshalb ermutigt uns Gott dazu, uns für eine bessere Welt zu engagieren, eine menschlichere Welt:

Eine Welt, in der nicht die Herkunft zählt oder die Sprache, die wir sprechen, sondern allein unser Menschsein.

Eine Welt, die nicht unterscheidet in Fremde und Einheimische, sondern die offen für alle ist, die darin leben wollen.

Eine Welt, in der zivilgesellschaftliches Engagement nicht belächelt oder gar kriminalisiert wird, sondern gewürdigt und erwünscht ist.

Eine Welt, wo Multikulti kein Kampfbegriff mehr ist, sondern Ausdruck einer selbstverständlichen Vielfalt an Lebensformen und Kulturen.

Eine Welt, wo nicht Angst und Abgrenzung das letzte Wort haben, sondern Zusammenhalt und Zukunft.

Ja, eine Welt, die nicht den Himmel verspricht, sondern die Leben auf Erden gelingen lässt.

Von einer solchen Welt erzählt die Geschichte Ruts und für eine solche Welt steht am Ende auch der Mann aus Nazareth, in dem wir Gottes Menschensohn erkennen. Mit ihm können wir auf diese Welt bauen und den Ruts und Naomis unserer Zeit eine echte Chance geben – aber auch uns selbst und unserer Gesellschaft! Indem wir zusammenhalten, können wir Zukunft gewinnen.

Amen.

Das Buch Rut umfasst nur 4 Kapitel und ist im vorderen Teil des Alten Testaments / der Hebräischen Bibel zu finden.



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