Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
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"Gott hilft"

von Martina Severin-Kaiser / September 2009

Im Juni hielt Pastorin Martina Severin-Kaiser, Ökumenebeauftragte der Nordelbischen Kirche, folgende Predigt über „Die Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus“ in der Hamburger Hauptkirche St. Petri. Aus Platzgründen drucken wir die Predigt in gekürzter Form ab. Der Predigtext (Lukasevangelium, Kapitel 16, 19-31) kann in der Bibel nachgelesen werden.

Liebe Gemeinde Jesu Christi,

Abrahams Schoß - das ist der einzige gute Ort in dieser krassen und frostigen Geschichte vom reichen Mann und dem Armen vor seiner Tür.

Der „Schoß Abrahams“ ist sicher eines der großen bekannten Sprachbilder, mit denen wir versuchen, uns einen Begriff von allerletztem Schutz und Nähe zu Gott zu machen. Es spricht uns so unmittelbar an, weil es an unsere frühesten prägenden Erfahrungen anknüpft. Denn eine solche Geborgenheit haben wir hoffentlich alle einmal auf dem Schoß unserer Mütter und Väter erfahren. So wie der Schoß unserer Eltern steht der „Schoß Abrahams“ allen Abrahamskindern offen. Abrahams Kind zu sein, meint doch nichts weniger, als zu denen zu gehören, denen die unverbrüchliche Zusage Gottes gilt, dass er – egal, was kommt – zu uns hält.

In den Augen Gottes sind alle Abrahams Töchter und Söhne in gleicher Weise geliebt. So einheitlich der Blick Gottes auf uns ist, so unterschiedlich verbringen wir unser Leben. Von zwei sehr ungleichen Abrahamskindern erzählt Jesus in Form einer Parabel, die uns im Lukasevangelium überliefert wird, von einem namenlosen Reichen und einem Armen mit Namen Lazarus. Zu ihren Lebzeiten lebt der eine in Saus und Braus. Der andere, Lazarus, dagegen hockt in Sichtweite vor der Tür, in der Hoffnung einige Brotkrumen vom Tisch des Reichen zu ergattern. Der Reiche nimmt den Armen nicht wahr, er übersieht ihn.

Nach dem Tode der beiden kehrt sich das Verhältnis um. Jetzt sitzt der Wohlhabende im Dunkeln, Lazarus dafür geborgen in Abrahams Schoß. Was aber bleibt: Zwischen den beiden existiert nach wie vor eine unüberwindbare Kluft, obwohl beide sich nach wie vor in Hör- und Sehweite befinden.

In dieser Geschichte wird an kaum etwas gespart, was unseren guten Geschmack auf die Probe stellt. Das Reich des Todes wird hier tatsächlich in den Bildern des Horrors beschrieben, die wir doch lieber für eine Phantasie des so genannten finsteren Mittelalters halten.

Für das Motiv der ausgleichenden Gerechtigkeit können wir uns vielleicht bisweilen erwärmen. Wenn es aber dem Reichen nun Höllenquallen beschert, stimmt auch das nicht gerade heiter.

Also, wie wir es drehen und wenden, eine ungemütliche Geschichte, die noch einmal unangenehmer wird, wenn wir uns der über Jahrhunderte betriebenen Spekulation anschließen und fragen, wer denn nun von uns auf die Seite der Verdammten und wer in Abrahams Schoß gehört.

Ohne in Einzelheiten zu gehen, brauchen wir wohl nicht lange nachzudenken. Kaum eine/r von uns hier kann, im Weltmaßstab betrachtet, ernsthaft behaupten, auf die Seite Lazarus’ zu gehören. Vielmehr erhalten in dieser Person alle die namenlosen Opfer unserer Gleichgültigkeit und unseres Unwissens einen Namen: nämlich den griechischen Lazarus, auf Hebräisch Elieser, und auf Deutsch: Gott hilft. Gott hilft diesen Übersehenen. Seien es nun die Wohnungslosen auf der Straße oder die Menschen ohne Papiere. Die, die im Dunkeln sitzen, sollen ins Licht gerückt und damit sichtbar werden.

Und was sieht diese Geschichte für den Reichen vor, dem wir uns, bei Licht betrachtet, irgendwie doch sehr nahe fühlen können? Wir, die wir lieber schnell weggucken, wenn ein bettelnder Behinderter uns anspricht? Die ahnen, nicht wirklich zu den Unterprivilegierten zu gehören?

Was also bleibt dem Reichen? Allein ewige Verdammnis, Höllenqualen? Nein. Das ist, um es ganz klar zu sagen, der Stoff, aus dem das Spiel mit der Angst besteht, über viel zu lange Zeit von den Kirchen mit Inbrunst betrieben.

Um es gleich vorweg zu sagen: Ich meine nicht, dass die Parabel zum Ziel hat, uns unsere zukünftigen Höllenqualen vor Augen zu führen. Dass ist es nicht, was der Text lehrt. Denn diese Geschichte ist kein Lehrtext, kein Paragraph eines dogmatischen Lehrbuchs mit der Überschrift „Reiche und Arme im letzten Gericht“. Diese Parabel - wie andere Gleichniserzählungen - ist keine Lehre, wohl aber enthält sie eine Lehre.

Ich könnte der Erzählung auch eine andere Überschrift geben, die uns auf eine Fährte bringt: „Der Reiche, der zu spät sehen lernte“. Zu Lebzeiten war er offenbar so gefangen in seiner Luxuswelt, dass er nicht wahrnahm, was sich vor seiner Haustür abspielte. Erst nach dem Tod sieht er den, den er vorher nicht wahrgenommen hat, den Lazarus. Aber da ist es bereits zu spät.

Und erst dann – bereits in der Hölle – vollzieht sich mit dem ehemals Reichen eine Veränderung. Natürlich können wir darüber streiten wie bedeutsam sie ist, weil er am Ende nur an seine ebenfalls reichen Schwestern und Brüder denkt. Aber immerhin. Er möchte, dass sie gewarnt werden und ihr Leben nicht mehr in dieser blinden Weise weiter leben. Und aus seinem Munde selbst kommt die negative Einschätzung, dass denen, die so viel haben, weder die Bibel noch einer, der aus den Toten zurückkommt, die Augen öffnen könnten. Er selber nimmt an sich jetzt diese negative Wirkung wahr. Ganz wie sie diese kleine Geschichte deutlich macht: So schlecht es ist es um die bestellt, die zu viel haben!

Was sagt uns die Geschichte?

Legen wir die Hände in den Schoß und nicken zustimmend, kann man also nichts machen? Dann haben wir uns längst aufgegeben. Und nicht nur uns, die anderen, die im Dunkeln, die Lazarusse ebenfalls.

Oder packt die Geschichte uns doch bei unserer eigenen Ehre und weckt unseren Widerspruch: Nein, so hoffnungslos ist es nicht mit uns! Auch wir können noch sehen und hinschauen lernen.

Wenn unsere Reaktion in diese Richtung geht, dann hat die Geschichte ihre Wirkung erzielt.

Sie will unser Interesse wecken für die, die wir übersehen, hier in Hamburg und an den anderen Orten dieser Welt.

Woran mache ich das fest?

Die gute Botschaft der Geschichte ist gut versteckt – im Namen des Armen. Der gibt selbst dieser frostigen Geschichte eine andere Wendung: Sie erinnern, der Arme hier heißt Lazarus, auf Deutsch: Gott hilft. Dieser Name ist beleibe nicht Schall und Rauch sondern Programm. Ja, Gott hilft, er steht auf der Seite derer, deren Menschenrechte mit den Füßen getreten werden.

Gott hilft. Aber eben auch so, dass er den Wohlhabenden die Augen öffnet, sie sehen lehrt, damit sie endlich mehr erkennen als sich selbst.

Dann kann auch die Kluft zwischen den unzähligen Lazarussen und uns kleiner werden. Die Kluft, die der Zusammengehörigkeit der Kinder Abrahams manchmal noch viel mehr im Wege steht als alle Glaubensunterschiede.

Möge Gott sein Wort an uns segnen und uns die Augen öffnen heute und alle Tage unseres Lebens. Amen



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