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Oft ist es zum Heulen
von Johannes Varelmann / August 2020 Als Teil meines Bundesfreiwilligendienstes darf ich einmal pro Woche das Team im Café Exil unterstützen, manchmal am Donnerstagnachmittag, öfter aber am Dienstag, wenn auch ein:e Anwält:in da ist. Meistens helfen wir, indem wir Briefe erläutern, vielleicht auch mal darauf reagieren oder klärende Anrufe erledigen, manchmal indem wir Widerspruch einlegen oder auch zur Klage raten. Aber es gibt eben auch viele verzweifelte und mehr oder weniger aussichtslose Situationen. Und es gibt viel Ärger über unnötige Schwierigkeiten, unsinnige Bürokratie und die Missachtung von sehr verständlichen Bedürfnissen von hier lebenden Menschen. So fällt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) immer wieder Entscheidungen, die in gleichen Fällen vor Gericht schon mehrfach verworfen wurden – als ob Gerichte zu wenig Arbeit hätten. Hier scheint einkalkuliert zu werden, dass nicht alle Menschen ihre Rechte einklagen. Allzu oft scheint es im Asyl- und Aufenthaltsrecht – vor allem mit den letzten Verschärfungen hin zum „Hau-Ab-Gesetz“ – darum zu gehen, möglichst viele Menschen los zu werden und hinauszuwerfen. Ein vermeintlich sicherer Aufenthaltsstatus wird nach Jahren (der Integration) überprüft und aufgehoben. In einem mir begegneten Fall arbeitet der sehr gut deutsch sprechende Mann in der Altenpflege! Menschen, die hier in einen sogenannten illegalen Status gerutscht sind, müssen auf jeden Fall ausreisen, um dann mit Wartezeit und einem Visum (und der Beachtung und Erfüllung vieler Auflagen) wieder zu kommen – was für eine Zumutung, wenn sich das Leben schon lange hier abspielt, Familie, Freund:innen und die Pläne für die Zukunft nichts mehr mit dem Herkunftsland zu tun haben! Man kann sich natürlich leicht darauf zurückziehen, dass Vorschriften eben eingehalten werden müssen, dass sich niemand falsche Vorstellungen machen darf. Aber wenn die Menschen vor mir sitzen, frage ich mich immer wieder, warum das Leben nicht einfacher sein kann, warum Dinge künstlich erschwert werden müssen. Überhaupt erlebe ich bei so vielen Menschen, dass sie warten müssen auf Entscheidungen: Gewissheit über ihre Zukunft, die Erlaubnis zum Arbeiten, Reisen oder zum Aufenthalt an ihrem Wunschort und aktuell auch immer wieder auf Familienzusammenführung. In letzter Zeit waren immer wieder werdende Mütter da, die dringend und gern den Kindsvater in ihrer Nähe hätten, aber es werden keine Ausnahmen von Corona-Einreiseregeln gemacht (#loveisnottourism), sondern in einem Fall sogar der Vorwurf geäußert, es ginge nur um die Erschleichung eines Aufenthaltstitels. Mir ist manches Mal zum (Mit-)Weinen zu Mute, wenn z. B. eine Frau dem Sohn ihres verstorbenen Arbeitskollegen helfen will, legal und medizinisch versorgt hier bleiben zu können, und dann vor lauter Ausweglosigkeit irgendwann die Tränen nicht mehr halten kann. Denn wie so viele andere kommt der junge Mann dummerweise aus einem „sicheren Herkunftsland“. Dass es auch andere gute Gründe gibt, woanders hin zu gehen oder nach einer Zeit in Deutschland nicht mehr weg zu wollen, zählt leider nicht, wenn ich nicht Deutscher bin und alle möglichen Reisefreiheiten und Privilegien nutzen darf. Es ist sehr berührend, wenn eine Frau mit Kleinkind in die Nähe des Vaters ihres Kindes ziehen darf, aber dort und anderswo nicht unterkommen kann. Nach zwei oder drei Nächten, die sie – keine Ahnung, wo – mit wenig Schlaf verbracht hat, bittet sie verzweifelt um Hilfe. Und tatsächlich finden wir nach einer Weile einen Platz, wo sie für die nächste Zeit unterkommen kann. Während sie wartet, ist sie bei uns am Tisch eingeschlafen... Ich finde es zum Heulen, wie sehr versucht wird, Menschen dadurch zu vergraulen und zu behindern, dass sie in Deutschland und Europa nicht einfach da sein dürfen, wo sie gerne sein möchten, wo ihre Familie und Freund:innen leben. Stattdessen müssen sie sich den bürokratischen Monstern der Dublin-Verordnung und der innerdeutschen Umverteilungsregeln beugen. Und dann kann sich eine junge Frau dreimal um einen Ausbildungsplatz bemühen. Jedes Mal sagt die Ausländerbehörde: nein. Genauso zum Verzweifeln: wie viele Menschen so offensichtlich Hilfe und Schutz benötigen, aber unter unmäßigen Kraftanstrengungen und vielen Mühen, von Re-Traumatisierung betroffen oder gefährdet, dieses Offensichtliche beweisen müssen. Manchmal muss ich nach der Schicht im Café Exil tatsächlich heulen, jemandem mein Leid klagen oder auf der Fahrradfahrt ein Klagegebet los werden. Vieles scheint so ausweglos vor dieser hohen Mauer unmenschlicher Bürokratie und Vorschriften, vor einem großen System aus Rassismus und (Post-?) Kolonialismus, vor einer unbarmherzigen Einteilung von Menschen in solche mit allen Rechten und andere mit ganz wenigen. Erfreulicherweise ist es manchmal auch anders: Eine junge Frau hatte Angst, bei der Ausländerbehörde gesagt zu bekommen, dass sie nicht mehr hier sein darf. Außerdem wartet sie dringend auf den Ehemann und Vater ihres neugeborenen Kindes aus dem Heimatland. Wir hatten zwei gute Nachrichten für sie: Ihr kann nichts passieren, ihr Aufenthalt ist sicher, sie könnte sogar versuchen, einen Daueraufenthalt zu bekommen. Und der Fragebogen, der sie zusätzlich verunsichert hatte, war für uns das Zeichen, dass auch für ihren Mann alles auf dem Weg ist. So glücklich und erleichtert gehen die Leute selten aus dem Café Exil. Doch auch sonst sind viele froh, dass ihnen geholfen wird, sie wieder sehen können, wo es weiter geht. Dafür lohnt es sich, weiter zu machen. Und wer weiß schon, welches Klagen – vor Gott wie vor Gericht – auch etwas ändern kann. |
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