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Zwischen zu viel und zu wenig

Kleopatra, nimmermüde, beim Verwerten von aussortiertem Gemüse

von Frauke Niejahr / Dezember 2006

Mitte November ist es. Ich habe schon die erste Frage nach Weihnachtswünschen erhalten. Ich habe im Haus darüber gestritten, ob man am Totensonntag Weihnachtskekse backen sollte. Ich bin schon viermal am Lebkuchenregal im Kaufhaus vorbei geschlichen. Ich war mehrfach geblendet und vom Kaufwunsch getrieben, wegen der Weihnachtsdeko, in den Kaufhäusern.

Das passiert, während draußen die Bäume kahler werden und in mir Platz wird, dass der Advent näher rücken kann. Für mich eine Zeit „schlicht“ zu werden. Der Versuch, das aufzuspüren, was ich wirklich „brauche“. Reif zu werden für Weihnachten. Gott erwarten und in einer einfachen Krippe finden.

Stattdessen finde ich mich wieder in der Welt der Wunschlisten. Im Versuch „schlicht“ zu werden möchte ich Bedürfnis von Begehren unterscheiden lernen. Ich möchte klären, was ich brauche und wo heftiges sinnliches Begehren mich treibt, reine Gier.

Am besten sieht man das bei uns im Bereich Nahrung. Da sind wir schnell in hässliche Strukturen verwoben: Was „nötig“ ist und was „gesund“, ist mitunter schwer zu bestimmen und individuell verschieden. Woran orientiert sich ein „Bedarf“? Wir sind vom „Zuviel“ umgeben. Unsere Bedürfnisse werden beeinflusst oder sogar erst geweckt. Wir wissen, dass unser „Viel“ verknüpft ist damit, dass anderswo Mangel herrscht. Wir wissen, dass die Erde unserem Wirtschaften Grenzen setzt, dass unnatürlich ist, wie wir leben und dass ein Kollaps irgendwann wahrscheinlich ist.

Bei Brot & Rosen versuchen wir, diesen Strukturen wenigstens ein bisschen zu entwischen. Wir möchten einen schlichten Lebensstil pflegen. Wir versuchen uns weitestgehend von Lebensmitteln zu ernähren, die wir geschenkt bekommen, weil sie sonst weggeschmissen werden. Wir verzichten überwiegend auf Fleisch und Fisch. Als gemeinnützige Organisation bekommen wir viele unserer Lebensmittel von der Hamburger Tafel geliefert. Ein befreundeter Bioladen schenkt uns, was dort nicht mehr verkaufbar ist. Der Weltladen in Bramfeld gibt abgelaufene Produkte an uns weiter. Ein Freund, der ähnlich wie die Hamburger Tafel abgelaufene und damit „müllfähige“ Nahrungsmittel aus Discountern abholt, um sie in ein Tierhaus zu bringen, bedenkt uns regelmäßig.

Für unseren alltäglichen Bedarf kaufen wir manches, wenn wir es nicht geschenkt bekommen: Milchprodukte, Reis, Nudeln,… Hier sind die Kriterien entweder: Schlicht bzw. günstig oder ökologisch verträglich / gesund / fair gehandelt. Immer wieder helfen uns Anstöße miteinander neu nachzudenken, ob unsere Kriterien bzgl. Nahrung korrigiert werden sollten.

Ein solcher Denkanstoß war für mich z.B. das Zusammenleben mit Kleopatra in diesem Sommer. Kleo hatte oft die Idee, Lebensmittel noch zu verwerten, die ich nicht mehr für genießbar oder gesund gehalten hätte. Ich kenne das aus der Generation derer, die den Krieg erlebt haben. Ich weiß, dass die Erfahrung von Armut oder Hunger den Umgang mit Nahrung prägt. Ich bin anders geprägt: Vom Lebensgefühl, dass man alles haben kann und von der Frage nach möglicher Gesundheits- und Umweltbelastung.

Im Haus schwanken wir oft zwischen Lust und Frust an der Fülle des Geschenkten. Leicht verfallen wir dabei der Illusion, dass wir nur fleißig genug Einfrieren, Backen oder Einmachen müssten, um das Problem des Überflusses zu lösen.

So seufzte Ilona neulich, beim Blick auf mehrere Kartons voll Spinat: „ Das ist so schade, jetzt ist da so viel leckerer Spinat im Keller und wenn den heute keiner kocht, dann können wir den morgen wegschmeißen!“

Unglaublich, wie unsere Überflussgesellschaft gezielt solche Massen an Lebensmittel für den Müll produziert. Pervers, dass gleichzeitig viele Menschen keinen Zugang zu dem haben, was eigentlich Mittel zum Leben sein sollte. Die kleine Patricia erzählte von Afrika: „Da musste ich immer Wasser aus dem Brunnen holen, das war manchmal ganz schön schwer, den Eimer da hoch zu kriegen.“

Hilft es Maß zu halten, wenn ich sehe, wie schlicht andere leben müssen? „Live simply so that others can simply live! “, sagt Dorothy Day.

„Gier“ klingt verwerflich. Aber das Problem kennen sicher viele. Wie halte ich dies heftige sinnliche Begehren in einem angemessenen Rahmen? Wir haben in unserem Haus so viele Hilfen eingebaut und organisiert, um zu teilen, bescheiden zu leben, wiederzuverwerten und umzuverteilen, was uns an Reichtümern zufällt. Aber spätestens, wenn ich am Lieferwagen der Hamburger Tafel stehe und Essensgaben in Empfang nehmen soll, passiert es ganz leicht, dass ich der Fülle nicht widerstehen kann und mehr annehme, als wir brauchen. Bleibt die Frage: Kann ich der Freude an der Fülle des „Umsonst“ widerstehen („kostet ja nix!“). Muss Lust an der Fülle immer in Gier münden, mehr zu nehmen, als wir brauchen? Kann ich bei aller Freude über die gelungene Umverteilung, die durch unser Haus geschieht, der Illusion widerstehen, wir könnten die Maßlosigkeit der Überflussproduktion ausgleichen durch sinnvolle Verwertung? Herzhaft lachte ich kürzlich über eine trockene Bemerkung von Dietrich: „Wir können nicht den ganzen Müll der Überflussproduktion auffressen. Das ist einfach zu viel.“

Es bleibt dabei: Wir sind viel zu Wenige mit diesem Lebensstil um allen Müll der Luxusgesellschaft neuem Sinn zuführen. Und wir möchten dies auch nur als ein Provisorium verstehen. Wir möchten mit anderen dafür einstehen, dass bei Marktstrategien, beim Konsumverhalten, bei Produktionsbedingungen und bei der Definition dessen, was wir „brauchen“ und glauben uns „holen“ zu können, menschenwürdigere Kriterien Einzug halten und Rechte geachtet werden.

Joel (7 Jahre) hat einen seiner ersten Witze zum Thema erzählt: Dick und Doof gehen zum Bäcker. Doof bleibt draußen vor dem Geschäft stehen. Dick geht ´rein. „Hast du 100 Brötchen?“ Der Verkäufer: „Bist du doof?“ „Nee, der steht doch draußen!“

Um „schlicht“ zu werden, werden verschiedene Typen verschiedene Wege gehen. Kleine Sätze wie der oben genannte von Dorothy Day sind für mich hilfreich. Vielleicht, weil man sie memorieren, beten und wieder hervorzaubern kann, wenn es darauf ankommt.

Und wenn die Gier, das heftige sinnliche Begehren, mich besinnungslos in weihnachtliche Fülle zieht - schon im November? Ein Freund kommentierte kürzlich: Triebstau ist Lustgewinn!



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