Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
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Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
Rühr unsere Herzen an!

Aufstehen nach einer kalten Nacht auf der Straße vor dem atomaren Zwischenlager am 8.11.2010

Gemeinschaftswochenende in Neukirchen an der Ostsee

von Birke Kleinwächter / Dezember 2010

Unter diesem Motto feierten wir am Volkstrauertag unser mittlerweile Tradition gewordenes Requiem zum Gedenken an die Verstorbenen an den EU-Außen­grenzen.

Es war der vierte Gottesdienst dieser Art, in dem wir der namenlosen Opfer gedachten. Rühr unsere Herzen an – öffne unsere Augen – ermutige, befähige uns zu Begegnung. Was die EU mit Hilfe von Frontex in den Grenzländern wie Malta, Griechenland und Italien vollzieht, hat die Lage der Flüchtlinge auch bei uns qualitativ und quantitativ verändert. Viele bleiben tatsächlich an den Grenzen hängen. Und da die wenigsten, die doch hier sind, auf dem direkten Weg nach Deutschland gelangen, ist es ein leichtes, sie in die so genannten „sicheren Drittländer“ zurückzuschicken, wenn sie hier einen Asylantrag zu stellen versuchen. So hat sich die Zahl der Gastanfragen bei uns in diesem Jahr spürbar erhöht. Und wir hadern damit, dass wir so oft ‚nein‘ sagen müssen, weil wir halt nur so viele Räume haben, wie wir haben.

Spätestens seit unserem erneuten "Einsatz" im Wendland im feucht-kalten Novemberwetter wissen wir einmal mehr um die Vorzüge eines warmen und trockenen Hauses. Unser Mitgefühl gilt denen, die kein festes Dach überm Kopf haben. Wir sind dankbar, dass wir genügend Spenden für die Miete erhalten. Sie ist unser größter fester Ausgabenfaktor, seit Oktober monatlich 4027 € warm, wovon ein Teil von uns als Lebens- und Einkommens­gemeinschaft mitfinanziert wird.

Das letzte Jahresdrittel, und da insbesondere die Monate November und Dezember, ist erfahrungsgemäß das vollste. Wir hatten sehr viel Besuch und etliche "Notaufnahmen", d.h. Flüchtlinge, die nur wenige Tage bei uns mitleben. In der Gemeinschaft bin ich für die Kasse zuständig und rechne am Monatsende das Verpflegungsgeld ab: vom Spendenkonto transferiere ich pro Flüchtling und pro Tag 6 € in die Haushaltskasse, aus der die laufenden Ausgaben getätigt werden. Dazu blättere ich unseren Bürokalender durch, in dem wir Ankunfts- und Abreisetage aller Gäste eintragen. Oft erschrecke ich mich, wen ich alles schon nicht mehr präsent habe, obwohl es doch eventuell erst 2 Wochen her ist, dass jemand da war.

Unsere BesucherInnen kamen aus ganz verschiedenen Beweggründen. Die einen wollten unsere Gemeinschaft kennen lernen und hatten eine entsprechende Empfehlung von einem ihrer Bekannten erhalten. Andere kannten uns schon und besuchten uns mal wieder. Zwei junge Männer verfolgen selber die Idee, später eine Gemeinschaft zu gründen. Wir hatten eine Schülerpraktikantin im Haus, diskutieren allerdings auch, ob wir uns überhaupt als geeigneten Schulpraktikums­platz empfinden. Nicht jede Aufgabe, die wir haben, lässt sich an PraktikantInnen delegieren. Darum bleibt häufig viel Putzen und Kochen.

Immer wieder kommen Menschen zu uns, die eine Auszeit von ihrer eigentlichen Berufstätigkeit nehmen. So hatten wir gut zwei Wochen lang Besuch von Georg Meyer, Pastor in Durban, Südafrika. Eine Woche lang waren auch seine Frau Renate und seine beiden Kinder Sven und Tania hier, die sich mit unseren Kindern ausgezeichnet verstanden. Anfang November berichteten sie von dem Flüchtlingsprojekt ihrer Gemeinde „Home away from home“.

Auch wir selber waren unterwegs. Ilona Gaus besuchte die Gemeinschaft in Pomeyrol. Christiane Wiedemann ließ sich in Berlin bei der Jahrestagung der Bundesarbeitsge­meinschaft Asyl in der Kirche zum Thema „Sanctuary Movement“ inspirieren. Die Erfahrung in Europa ist ja, dass wir in aller Welt Menschen­rechte anmahnen, intern aber nur Bürgerrechte meinen, von denen Menschen ohne Papiere grundsätzlich ausgeschlossen sind. Menschenrechte sind immer inklusiv, gelten für alle, unterscheiden nicht zwischen denen mit oder ohne Papiere oder beurteilen, ob die Gründe, in unserem Land zu leben, berechtigt sind. Dazu gibt es ermutigende Beispiele z.B. aus Belgien, wo sogar schon das Recht auf Wohnraum für Menschen ohne Papiere eingefordert wird. Es bleibt nicht zuletzt die Erkenntnis, dass die direkte Begegnung von Angesicht zu Angesicht Barrieren überwindet, Verständnis schafft und somit zur Verleihung von Menschenwürde und dem echten Zuspruch der Menschenrechte befähigt.

Außerdem waren viele von uns im Wendland zum Protest gegen den Castor: Elisabeth bekochte mit der Volksküche „Rampenplan“ die TeilnehmerInnen der Xtausend-quer-Blockade, Dietrich stellte sich als „Seelsorger“ für die BlockiererInnen zur Verfügung, die Gesprächsbedarf hatten oder etwas Warmes  wie Tee oder eine Decke brauchten. Ich war bei den letzten Vorbereitungen zur und bei der Eroberung der Straße vor dem Zwischenlager in Gorleben dabei.

Bei unseren MitbewohnerInnen gibt es einerseits eine gewisse Stabilität zu verzeichnen, wir leben in etwa derselben Hausgemeinschaft zusammen wie auch vor Monaten beim letzten Rundbrief. Andererseits zeichnen sich Auszüge ab.

André (Togo) hat eine eigene Wohnung gefunden, die er derzeit stolz her- und einrichtet.

Mehmet (Kurdistan), der am Freitag nach Ostern bei uns klingelte und verzweifelt und ohne erkennbare Perspektive mit uns am Küchentisch saß, ist – mir kommt das fast wie ein Wunder vor – zurück im Asylverfahren. Das bedeutet, dass er uns in absehbarer Zeit verlassen muss, aber wieder näher bei seiner Familie wohnen kann. Sina (Ex-Jugoslawien) schien im Sommer gerettet durch einen positiven Beschluss seitens der zuständigen Härtefallkommission. Doch die Ausländerbehörde spielte nicht mit und wollte Aufenthaltspapiere nur nach Abgabe eines Passes ausstellen. Die dafür erforderlichen Identitätspapiere könne Sina entweder in Serbien oder im Kosovo beschaffen. Nach vergeblichen Versuchen, dies anders zu lösen, machte sie sich Ende Oktober auf den Weg nach Serbien. Aber sie wurde an der ungarisch-serbischen Grenze abgewiesen, weil sie kein Visum vorlegen konnte für das Land, in dem sie geboren worden war. Eine Reise in den Kosovo kommt für sie aus Angst um ihr Leben nicht in Frage. Unverrichteter Dinge musste sie zurückkehren. Ihr Anwalt hatte eine Eingabe bei der Härtefallkommission gemacht, dass diese die Ausländerbehörde anweist, Papiere für Deutschland ohne Beschaffung der Originaldokumente auszustellen, weil dies trotz aller Bereitschaft nicht möglich ist.  Salome (Georgien) hat ihr Sozialarbeit­studium aufge­nommen, sucht aber immer noch Job und Wohnung, um ihr Studium fortsetzen zu können. Sie ist dankbar für bezahlbare Mitwohnangebote für sich und ihren Sohn! Eleonora (Ukraine) müsste mittlerweile die für den Taxenschein erforderlichen Hamburger Ortskenntnisse haben, so „besessen“ wie sie jeden Tag jede verfügbare Zeitung durchforstet nach einer geeigneten Erdgeschoss­wohnung. Regelmäßig verpasst sie zum Ärger der Haus­gemeinschaft die wöchentlichen Haustreffen, weil Woh­nungs­besichtigungen häufig montags stattfinden. Es wäre ein riesengroßes Weihnachtsgeschenk, wenn sie end­lich einen Schlüssel zu einer eigenen kleinen Wohnung, bezahlbar und gehbehindertenfreundlich, in Händen halten dürfte.

Unser Leben bietet in jeglicher Hinsicht die Fülle. Fülle hat etwas sehr Bereicherndes, aber sie kann manchmal auch zuviel werden. Deshalb haben wir einen diesbezüglichen mehrwöchigen Gedankenprozess Anfang Oktober bei unserem Gemeinschaftswochenende in folgenden Beschluss münden lassen: Brot & Rosen wird von Ostern bis Ende August 2011 eine Sabbatzeit machen. Etwa vier Monate lang werden wir kein „Haus der Gastfreundschaft“ sein, d.h. wir werden keine Flüchtlinge bei uns mitleben haben und auch keinen Besuch oder PraktikantInnen empfangen und keine Öffentlichkeitsarbeit machen. Dieser Einschnitt ist notwendig, weil wir Kraft schöpfen müssen, weil wir Einkehr halten wollen, weil wir ohne Alltag neu bedenken wollen, was wir warum tun, um entrümpeln zu können, um notwendige Renovierungsarbeiten durchführen zu lassen und dadurch hoffentlich auch Teile des Hauses neu zu gestalten. Wir sehen diese Sabbatzeit als unsere dringende Aufgabe an, um unser Haus auch in einigen Jahren noch mit liebevollen Ideen, einem guten Geist, mit eigener Gesundheit und Kraft führen zu können.

Wir hoffen und wünschen uns, dass alle, die unsere Arbeit finanziell und ideell unterstützen, dies auch über die Sabbatzeit hinaus tun und sie als einen Teil unserer Arbeit begreifen.

In diesem Zusammenhang möchten wir uns bei allen bedanken, die uns finanziell oder materiell unterstützt haben in diesem Jahr. Nicht jedes Mal sind wir in der Lage, uns schriftlich zu bedanken, weil wir keine Adresse herausfinden oder den Namen falsch lesen oder ähnliches. Das tut uns leid. Deshalb bitten wir Euch/ Sie auch dieses Jahr sicherzugehen, dass wir die (richtige) Adresse haben. Die Spendenquittungen verschicken wir immer Ende Januar für das zurückliegende Jahr.

Während wir die Arbeiten an diesem Rundbrief abschließen, tagt in Hamburg die Innenministerkonferenz. Es gab und gibt viele begleitende Protestaktionen, von denen gerade die, welche die Betroffenen selbst (z.B. die „Jugendlichen ohne Grenzen“) organisieren, sich durch große Kreativität und Lebensfreude auszeichnen. Mögen wir alle uns im Angesicht all der unerträglichen Nachrichten und Geschehnisse von dieser Lebensfreude leiten lassen, die Leben bejaht und Kraft verleiht für den Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit.



Mittragen

Unsere Gastfreundschaft für obdachlose Flücht­linge wird erst mög­lich durch Spenden und ehren­amtliche Mitarbeit
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Mitfeiern

Hausgottesdienste, Offene Abende und immer wieder mal ein Fest: Herzlich will­kommen bei uns im Haus der Gast­freund­schaft
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Mitbekommen

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Mitleben

Immer wieder fragen uns interessierte Menschen, ob und wann sie uns be­suchen kommen können. Wir freuen uns sehr über dieses Inter­esse.
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