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Die US-Drohnen und der endlose Krieg

Brian Terrell bei einer Aktion am Atomwaffenstandort Volkel (NL) kurz vor unserem Offenen Abend in Hamburg

„Schaufeln für den Frieden“ in Volkel: Ein Loch buddeln, unter dem Zaun durch, hoffentlich einen Prozess führen über internationales Recht und ein Friedensbeet anlegen

von Brian Terrell / Oktober 2021

Am 26. Oktober hatten wir unseren ersten Offenen Abend bei Brot & Rosen seit Anfang 2020. Unser Gastredner war der US-amerikanische Catholic Worker und Friedensaktivist Brian Terrell. Er war zwischen 2010 und 2018 siebenmal in Afghanistan und engagiert sich gegen die Kriegsführung der USA u.a. mit bewaffneten Drohnen.

In seiner Rede im Weißen Haus am 31. August hat Präsident Joe Biden das US-amerikanische Volk und die Welt belogen: "Letzte Nacht in Kabul haben die Vereinigten Staaten 20 Jahre Krieg in Afghanistan beendet – den längsten Krieg in der amerikanischen Geschichte."

Der US-Krieg in Afghanistan ist aber nicht zu Ende gegangen – er hat sich lediglich an den technologischen Fortschritt angepasst und sich in einen Krieg verwandelt, der politisch hartnäckiger und leichter zu exportieren sein wird.

Wie der US-Präsident ausführte, "werden wir den Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan und anderen Ländern fortsetzen. Wir brauchen dafür nur keinen Bodenkrieg zu führen. Wir verfügen über sogenannte Over-the-Horizon-Fähigkeiten, wir können Terroristen und Ziele also angreifen, ohne dass amerikanische Truppen vor Ort sind - oder nur sehr wenige, wenn es nötig ist."

Bereits fünf Tage zuvor, am Abend des 26. August, wenige Stunden nach einem Selbstmordanschlag am Tor des Internationalen Flughafens Hamid Karzai in Kabul, bei dem zahlreiche Afghan*innen und 13 US-Soldaten getötet wurden, wandte sich Präsident Biden an die Welt – „empört und untröstlich“, wie er sagte.

Viele von uns, die die Rede des Präsidenten hörten, bevor die Opfer gezählt und die Trümmer beseitigt werden konnten, fanden in seinen Worten weder Trost noch Hoffnung. Stattdessen wurden unser Kummer und unsere Empörung nur noch größer, als Joe Biden die Tragödie zum Anlass nahm, zu noch mehr Krieg aufzurufen:
Diejenigen, die diesen Anschlag verübt haben, sowie alle, die Amerika Schaden zufügen wollen, sollen Folgendes wissen: Wir werden nicht verzeihen. Wir werden nicht vergessen. Wir werden euch jagen und euch bezahlen lassen. (…) Wir werden mit Kraft und Präzision reagieren, zu unserer Zeit, an dem Ort, den wir wählen, und zu dem Zeitpunkt, den wir wählen.“

Der vom Präsidenten angedrohte „Zeitpunkt unserer Wahl“ kam einen Tag später, am Freitag, dem 27. August, als das US-Militär einen Drohnenangriff auf einen angeblichen "Planer" der Terrororganisation IS in der östlichen afghanischen Provinz Nangarhar durchführte.

Die Behauptung des US-Militärs, es wisse von „keinen zivilen Opfern“ bei dem Angriff, wurde durch Vor-Ort-Berichte widerlegt. „Wir sahen, dass Rikschas brannten“, sagte ein afghanischer Zeuge. „Kinder und Frauen wurden verwundet und ein Mann, ein Junge und eine Frau wurden an Ort und Stelle getötet.“

Tod einer zehnköpfigen Familie in durch Drohnenangriff
Dieser Angriff war nicht der letzte“, sagte Präsident Biden. Am 29. August wurde bei einem weiteren US-Drohnenan­griff eine zehnköpfige Familie in Kabul getötet.

Der erste tödliche Drohnenangriff in dieser Geschichte ereignete sich am 7. Oktober 2001 in Afghanistan, als die CIA den Taliban-Führer Mullah Omar „mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit“ identifizierte und angreifen ließ. Tatsächlich tötete die von einer Predator-Drohne abgefeuerte Hellfire-Rakete zwei nicht identifizierte Männer, während Mullah Omar entkam.

Die beiden jüngsten Fälle von „Gewalt und Präzision“, die Biden zwanzig Jahre später anordnete, lassen das vermeintliche Ende des Krieges so erscheinen, wie er begonnen hat. Die Bilanz in den Jahren dazwischen war nicht viel besser. Vom Whistleblower Daniel Hale geleakte Dokumente belegen, dass bis zu 90 Prozent der Opfer US-amerikanischer Drohnenangriffe nicht mit den Zielpersonen übereinstimmen - und dass die US-Regierung sich dessen bewusst ist.

Zemari Ahmadi, der bei dem Drohnenangriff in Kabul am 29. August zusammen mit neun Familienmitgliedern, darunter sieben kleine Kinder, getötet wurde, war bei einer in Kalifornien ansässigen humanitären Organisation beschäftigt und hatte ein Visum für die USA beantragt, ebenso wie Ahmadis Neffe Nasser, der bei demselben Angriff ebenfalls getötet wurde.

Nasser hatte mit US-Spezialkräften in der afghanischen Stadt Herat gearbeitet und war zudem als Wachmann für das dortige US-Konsulat tätig gewesen. Was auch immer die überlebenden Mitglieder von Ahmadis Familie und Freund*innen mit den USA verband, löste sich an diesem Tag in Rauch auf.

Amerika ist der Mörder der Muslime an jedem Ort und zu jeder Zeit“, sagte ein Angehöriger, der an der Beerdigung teilnahm, „ich hoffe, dass alle islamischen Länder sich in ihrer Ansicht einig sind, dass Amerika ein Verbrecher ist.“ Ein anderer Trauernder, ein Kollege von Ahmadi, sagte: „Wir haben jetzt mehr Angst vor Drohnen als vor den Taliban.“

Dass gezielte Tötungen, wie sie von 2001 bis heute in Afghanistan und anderen Orten durchgeführt wurden, konträr zu den erklärten Zielen der Terrorismusbekämpfung stehen, ist den Architekten des „Krieges gegen den Terror“ spätestens seit 2009 bekannt.

Jedes unschuldige Opfer schafft zehn Gegner
Dank Wikileaks haben wir Zugang zu einem CIA-Dokument aus jenem Jahr mit dem Titel Making High-Value Targeting Operations an Effective Counterinsurgency Tool. Zu den wichtigsten Erkenntnissen des CIA-Berichts gehört die Warnung der CIA-Analysten vor den negativen Folgen der Ermordung sogenannter hochrangiger Ziele (High Level Targets, HLT): „Zu den möglichen negativen Auswirkungen von HLT-Operationen gehören die Erhöhung der Unterstützung für Aufständische (...), die Stärkung der Bindungen einer bewaffneten Gruppe an die Bevölkerung, die Radikalisierung der verbleibenden Führer einer aufständischen Gruppe, die Schaffung eines Vakuums, in das radikalere Gruppen eindringen können.

Im Jahr 2013 sagte General James E. Cartwright, der ehemalige Vizevorsitzende der Joint Chiefs of Staff, vor dem Chicago Council on Global Affairs laut einem Bericht der New York Times: „Wir sehen, wie dieses Vorgehen auf uns zurückfällt. Wenn man versucht, sich den Weg zu einer Lösung durch Töten zu bahnen, wird man, egal wie präzise man ist, Menschen gegen sich aufbringen, auch wenn sie nicht das Ziel sind.

In einem Interview mit dem Rolling-Stone-Magazin aus dem Jahr 2010 rechnete General Stanley McChrystal, der damalige Befehlshaber der US- und Nato-Truppen in Afghanistan, vor, dass man sich für jeden unschuldigen Menschen, den man tötet, zehn neue Feinde schafft. Nach der Gleichung des Generals haben sich die USA allein durch die von Präsident Biden angeordneten Angriffe am 27. und 29. August mindestens 130 neue Feinde geschaffen.

Das Ziel ist ein endloser Krieg
Wenn die katastrophalen Folgen der Politik einer Nation so klar vorhersehbar und offensichtlich unvermeidlich sind, dann sind sie beabsichtigt. Was mit Afghanistan geschehen ist, ist keiner Reihe von Fehlern oder fehlgeschlagenen guten Absichten geschuldet, sondern ein Verbrechen.

In seinem Roman 1984 sah George Orwell eine dystopische Zukunft voraus, in der nie endende Kriege geführt werden, die weder gewonnen noch gelöst werden sollen. Und die Abschiedsworte von Präsident Eisenhower, als er 1961 aus dem Amt schied, waren eine Warnung vor den "schwerwiegenden Auswirkungen" des "militärisch-industriellen Komplexes".

Wikileaks-Gründer Julian Assange stellte 2011 fest, dass sich diese düsteren Vorhersagen bewahrheitet haben: „Das Ziel ist es, Afghanistan zu nutzen, um Geld aus der Steuerbasis der USA und Europas durch Afghanistan und zurück in die Hände einer transnationalen Sicherheitselite zu waschen. Das Ziel ist ein endloser Krieg, nicht ein erfolgreicher Krieg.“

Im vereinfachenden Dualismus der US-Parteipolitik scheint es nun nur darum zu gehen, ob der derzeitige Präsident verantwortlich gemacht wird oder ob man ihn entlasten und die Schuld auf seinen Vorgänger schieben sollte.

Diese Diskussion ist nicht nur irrelevant, sondern auch eine gefährliche Ausflucht vor der Verantwortung. 20 Jahre Kriegsverbrechen machen viele mitschuldig.
1972 schrieb der Rabbiner Abraham Joshua Heschel: "Moralisch gesehen gibt es keine Grenze für die Sorge, die man für das Leiden der Menschen empfinden muss. Gleichgültigkeit gegenüber dem Bösen ist schlimmer als das Böse selbst, und in einer freien Gesellschaft sind einige schuldig, aber alle sind verantwortlich."

Wir alle in den USA, die Politiker*innen, die Wähler*innen, die Steuerzahler*innen, die Investor*innen und sogar diejenigen, die dagegen protestiert und Widerstand geleistet haben, sind verantwortlich für 20 Jahre Krieg in Afghanistan. Wir sind auch alle dafür verantwortlich, ihn zu beenden. ■



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