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Ich lade Euch nach Griechenland ein! Verschafft Euch ein eigenes Bild!

von Dorothee Vakalis / Juli 2015

Dorothee Vakalis ist Pfarrerin im Ruhestand. Sie lebt seit Jahrzehnten in Griechenland. In Thessaloniki ist sie auch in der örtlichen Flüchtlingsarbeit engagiert. Darüber bekamen wir vor einigen Monaten Kontakt zu ihr. Da wir die pausenlose Nicht-Information über die Krise in Griechenland leid sind, veröffentlichen wir diesen persönlichen Brief an ihre FreundInnen. Leider ist das nur stark gekürzt möglich. Die vollständige Fassung findet sich auf der informativen Seite www.faktencheckhellas.org. 

Ihr Lieben, einige von Euch fragen mich, wie es mir als Frau mit einem deutschen Pass zurzeit in Griechenland geht: „Musst du als Deutsche viel von dem Hass der Griechen auf die Deutschen einstecken? Müssen wir uns Sorgen um Dich machen? Kann man noch nach Griechenland reisen?“

Vielleicht sollte ich Euch von meinem Leben in Griechenland erzählen? Von einem Leben als Auswanderin, als deutschsprachige Heiratsmigrantin seit 40 Jahren – eine unter 50.000 oder mehr in diesem Land.

Ja, es war in den letzten 40 Jahren noch nie so verhärtet zwischen unseren Ländern wie gegenwärtig. Es gab immer mal Spannungen - z.B. als die Bild-Zeitung und andere zu Beginn der Krise anfingen, von den faulen und gierigen Griechen zu schreiben – übrigens, diese Bilder wurden von den Nazis verbreitet, nachdem sie den Widerstand der Griechen während der Besatzung zu spüren bekamen.

Auch in Griechenland hört man Stimmen: „Alle Deutschen haben den Faschismus im Blut!“. Was heute an Stimmungsmache, an Häme da ist, hat einen neuen Grad erreicht:

Es ist eine durch und durch asymmetrische Beziehung geworden, vor allem in der offiziellen Kommunikation. Es geht um knallharte finanzielle Interessen. Um eine Unterordnung der Schuldner unter die Gläubiger.

Das ist eine Art von psychischer und materieller Gewalt, der ein striktes „NEIN, so geht es nicht!“ folgen muss. Da muss frau keine studierte Ökonomin sein, sie muss nur die Augen und Ohren öffnen, um sagen zu können: Nein, so geht es nicht, dass die humanitäre Krise in Griechenland auf der Tagesordnung der Mächtigen gar nicht vorkommt,

• dass die 1,5 Millionen Arbeitslosen und ihre Familien ohne jeglichen Versicherungsschutz und ohne Hoffnung auf eine Rente leben müssen, viele ohne Strom und Wasser in ihren Wohnungen – mit Mangelerscheinungen und dem Ausbruch von Krankheiten als Folgen,
• dass die Alten ihre gekürzten Renten mit den Jungen teilen müssen,
• dass die bestausgebildeten der jungen Leute – geplant! – ins Ausland geholt werden ,
• dass unzählige Flüchtlinge, die hier festgehalten werden müssen aufgrund der EU-Verordnungen und die hier keinerlei staatliche Grundversorgung bekommen, noch von der ohnehin gebeutelten Bevölkerung mit versorgt wer-den müssen,
• dass Menschen, die seit Generationen als Handwerker, Angestellte oder Selbständige gut für ihr Auskommen sorgen konnten, nun bei den Armenspeisungen der Kirchen und einiger Kommunen anstehen müssen,
• dass viele zu Hungerlöhnen arbeiten (2 Euro pro Stunde und weniger sind keine Seltenheit) und damit ihre Familien nicht ernähren können,
• dass 60 Prozent der jungen Menschen ohne jede Hoffnung auf einen Arbeitsplatz in den Dörfern und Städten herum hängen.

Griechenland ist selbst schuld an seinen Schulden. Es liegt an den Griechen, den Staat und die Schulden in Ordnung zu bringen!“ Dies sagt Herr Schäuble. Wir, die wir hier im Land leben, wissen und erfahren am eigenen Leib, wie ineffektiv die Verwaltung des Staates oftmals ist. Wir wissen, dass es im Land Ausbeuter und korrupte Strukturen und Schmarotzer gibt, dass viele auf Pump leben. Aber warum fällt Herrn Schäuble das jetzt ein? Warum wurden die Regierungen der letzten Jahrzehnte nicht gezwungen, mehr Gerechtigkeit und soziale Teilhabe zu praktizieren? Warum wurde die grenzüberschreitende Korruption nicht gemeinsam verfolgt? Warum wurde eine Angst verbreitende Wahlunterstützung für Samaras & Co. gegeben?

Was steckt dahinter, dass man der neuen Regierung, die superschnell in die Startlöcher gekommen ist, nicht zumindest eine allererste Chance einräumt, den Staat in Ordnung zu bringen, die humanitäre Krise zu lindern, und ihr nicht dabei hilft, die Steuerhinterzieher international zu fassen?

Ich habe das Gefühl, dass wir die Ursachen der Krise beim Namen nennen können, dass es dabei um Strukturen der Ungerechtigkeit geht, um Reiche gegen Arme. Das ist Kapitalismus pur, so einfach ist das!

Vielleicht ist es das Einzige, das die neue Regierung bisher wirklich erreicht hat, dass ein breiter öffentlicher Diskurs geführt wird über die Finanzkrise, die Schulden, die EU, den Euro. Und ich sehe, dass Menschen sich gegenseitig erzählen, wie sie versuchen, über die Runden zu kommen, einige schaffen es, neue Wege zu gehen – in NGO’s, in Kooperativen, in Bewegungen gegen die Privatisierung des Wassers, gegen Faschismus und Rassismus. Wir ermutigen uns gegenseitig zu widerstehen, wenn autoritäre Strukturen sich auch in den neuen Bewegungen breit machen. Und doch bleibt auch die Angst vor der Zukunft, vor der eigenen und der unserer Kinder und Enkelkinder. Das lässt mich schlecht schlafen.

Wenn Ihr wirklich verstehen wollt, was in diesen Zeiten ab-läuft, dann kommt nach Griechenland, macht hier Urlaub, sprecht mit den Menschen und stellt Eure Fragen. Besucht die alternativen Geschäfte, die Kooperativen von netten Cafés und gemütlichen Tavernen, die bunten Tauschmärkte, schaut Euch die sozialen Kliniken und Flüchtlingsinitiativen an. Ihr werdet sehen, wie gern Menschen mit Euch sprechen möchten, wie sehr sie sich über Euer Interesse an ihrem Leben freuen.

Eure Dorothee aus Griechenland

 

 

„Wenn man Lehren aus der Weimarer Zeit ziehen will, dann darf man ganze Völker nicht in eine solche katastrophale Lage laufen lassen, dass nur noch die rechten Rattenfänger davon profitieren. Ich habe manchmal den Eindruck, man behandelt die Griechen jetzt ganz besonders hämisch, weil es sich um eine linke Regierung handelt. Damit soll wohl ein abschreckendes Exempel statuiert werden, damit nicht im Herbst auch noch die Spanier in diese Richtung zu gehen.“ Antje Vollmer, ehemalige. Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, tageszeitung, 19..3.2015.



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