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Verfolgung, Flucht und Solidarität
von Ilhami Akter / Januar 2023 Der Kurde und Hamburger Taxifahrer Ilhami Akter, der in der Türkei verhaftet wurde und dem die Flucht nach Hamburg gelang, stellte am 17. Januar 2023 sein autobiografisches Buch vor. Hier seine einleitenden Worte zur Lesung mit Jessica Diedrich und Martin Bergt (LAIKA-Verlag). 2018 geriet der Ilhami Akter in die Fänge türkischer Justiz. Mehrere Deutsche wurden damals in Haft genommen, darunter an prominenter Stelle der Journalist Deniz Yücel, der Menschenrechtler Peter Steudtner oder die kurdische Jornalistin Meşale Tolu Çorlu. Eines Tages las ich einen Artikel oder das Buch eines Autors mit einem berühmten Namen. Ich erinnere mich leider nicht mehr an seinen Namen, dafür aber an das, was er schrieb: „Der Mensch ist geprägt von seiner Kindheit, von den Orten, an denen er geboren und in denen er aufgewachsen ist. Sie zeichnen sein ganzes Leben“. Als ein kurdischer Mensch ist meine Lebensgeschichte und meine Lebensperspektive in diesen Sätzen enthalten. Damals, als ich Kind war, ging ich mit meiner Mutter zum Haus meines Onkels, der uns endlose Geschichten auf Kurdisch erzählte. Die Erzählungen handelten von der Liebe, von der Armut und von der Grausamkeit der Könige. İm Laufe der Zeit hörte ich Melodien und Klagelieder, die von kurdischen Männern und Frauen, „Dengbejs“ (volkstümliche Musiker), mündlich vorgetragen wurden. Sie trafen meine Stimmung. Schon als Kind sah ich, wie bewaffnete Menschen in Uniformen und mit Helmen versehen durch Dörfer, Städte und Ortschaften zogen. Jeder, der sie kommen hörte, rannte weg und versteckte sich aus Angst, egal wo. Diese Uniformierten stürmten Häuser, trieben alle auf den Dorfplatz zusammen, schlugen und beschimpften sie. Es war ihnen aber nicht genug. Sie nahmen viele diese Menschen fest und steckten sie in Gefängnisse. Später erfuhr ich, dass die Uniformierten Soldaten waren. Dann begann für mich die Grundschule und die Lehrer sprachen mit uns in einer anderen, fremden Sprache. Da wir sie nicht kannten und verstanden, wurden wir oft von ihnen geschlagen. Dabei hielten sie uns an den Ohren fest und hoben uns in die Luft. Das war sehr schmerzhaft für unsere kindlichen Körper. Später war ich ein Teenager. Ich erinnere eine Herbstnacht. Mein Vater unterhielt sich beiläufig mit meiner Mutter. Meine Brüder hatten aus Angst vor diesen Soldaten bereits das Zuhause verlassen. In dieser Nacht wandte sich mein Vater plötzlich an mich und sagte: „Mein Sohn, wir wissen nicht, was uns in diesem ungewissen Krieg geschehen wird. Wir haben uns entschlossen, Dich nach Europa zu schicken. Du bist jung, sogar noch ein wenig ein Kind. Geh Du wenigstens und rette Du Dein Leben. Wir sind alt, es spielt keine Rolle, ob wir bleiben oder sterben“. Noch heute höre ich seine Worte in meinem Ohr, als wären sie gerade gesprochen. Nach dieser Entscheidung meiner Eltern machte ich mich auf den Weg. Ich reiste über Bäche und Hügel, über Berge, Ebenen, durch Flüsse, Dörfer, Städte und Länder und fand mich schließlich in Hamburg, Deutschland, wieder. Ob ich es nun Schicksal oder Schwierigkeiten nenne, die Sehnsucht und die Schwierigkeiten, die das Flüchtlingsleben mit sich bringt, haben mich hier nie verlassen. Wenn ich daran denke, was ich durchgemacht habe, schaudert es mich heute manchmal. Dann fand ich mich plötzlich unter sehr angesehenen Leuten wieder, und ich fand, das Glück hatte mir ein wenig zugelächelt. Und so hatte sich meine Lebensgeschichte ein wenig verändert. Viel später erhielt ich die Staatsbürgerschaft, von der ich nicht einmal geträumt hatte, sie zu erlangen. Für mich war das ein großer Erfolg, dass ich das geschafft habe. Jahre später folge ich dem ständig lockenden Wunsch, in das Land zu gehen, in dem ich meine Kindheit verbracht hatte und nach dem ich mich so sehnte. Als ich das erste Mal dort war, war jedoch jeder ein Fremder für mich und ich war ein Fremder für sie. Diese Reise wiederholte sich. Jahrelang gab es keine besonderen Probleme, aber immer hatte ich Angst. Und schließlich kam dieser schreckliche Tag an einem Morgen im August 2018. Als wir wieder einmal in unserem sanften, frühmorgendlichen Schlaf lagen, wurde unser Dorf, unser Haus von den bereits erwähnten Soldaten umstellt. Als wir mit meiner alten Mutter, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, die Tür öffneten, sahen wir die Rambos, die ihre Waffen auf uns richteten. Einer von ihnen rief: "Ich bin der Kommandant der Yeşilbelen-Jandarmeri". Auch seine Worte sind mir noch gut in Erinnerung. In diesem Buch nun erzähle ich die Geschichte meiner Flucht, eine Flucht auch vor Erdoğans Richtern. Es hat seine Zeit gebraucht, bis ich dazu in der Lage war. Zunächst beschreibe ich einen historischen Zeitraum. Ich erzählte von der Realität, wie die Menschen, wie ihr Leben, aber auch die Natur und die Tiere von diesem Krieg beeinflusst sind und wie unglücklich sie ihren Pfaden folgen. Ausgehend von der Lebenswirklichkeit ist es auch ein autobiografisches Werk, das meine Erinnerungen, Gedanken und Reflexionen enthält. Traurig ist, dass Tausende von Menschen diese Situationen erlebt haben und ihnen ein ähnliches Schicksal widerfahren ist. Manche können nicht darüber sprechen, manche haben Angst, sich öffentlich zu äußern. Der türkische Staat schüchtert viele ein. Deswegen ist dieses Buch nicht nur ein Buch über meine Geschichte. Meine Geschichte ist eine von vielen Kurd*innen und damit eine Geschichte meines Volkes. |
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