Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit
Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
No Border-Camp Lesvos

Jugendliche Flüchtlinge im Grenzgefängnis Pagani auf Lesvos

Begrüßungspunkt der No Border-AktivistInnen in Mytilene

Vom 25. – 31.8.2009 fand auf der griechischen Insel Lesvos ein Camp von FlüchtlingsaktivistInnen statt. Lesvos liegt an seiner Ostseite weniger als 4 km vom türkischen Festland entfernt, von wo aus Boote nach Europa starten. Mit solchen Camps soll die Realität an den EU-Außengrenzen sichtbar gemacht werden. Hier ein Bericht von Marion über den „Begrüßungspunkt“, der im Rahmen des Camps mitten in der Hafenstadt Mytilene eingerichtet wurde.

Es war der Abend des 20.August. Die letzte Fähre hatte den Hafen von Mytilene gerade verlassen, als eine Gruppe von 40 Flüchtlingen dort ankam. Es war eine gemischte Gruppe: aus Afghanistan, Somalia und Eritrea, eine der Frauen hochschwanger, auch kleine Kinder waren dabei. Sie kamen direkt aus dem Knast, der zum Bersten voll war, runter in die Stadt. 1000 Menschen mit den unterschiedlichsten Geschichten hatten den ganzen Tag nach Freiheit gerufen, und nun war diese kleine Gruppe entlassen worden. Schnell stellten sie fest, dass an diesem Abend keine Fähre mehr nach Athen fuhr.  Ihr Geld war zum großen Teil von der Polizei gestohlen worden, und sie wussten nicht was sie tun sollten. So schliefen sie einfach im Hafen auf dem Boden, ohne Decken. Ein paar Polizisten hielten mit dem Auto an und höhnten: "Da habt Ihr Eure Freiheit: im Dreck liegen!" Auch am nächsten Tag gab es keine Fährtickets – alles ausgebucht. Eine Gruppe Noborder-AktivistInnen kam am Hafen vorbei und lud die Flüchtlinge ins Noborder-Camp in Charamida ein.

Was nun? Wir könnten alle Flüchtlinge im Noborder-Camp willkommen heißen -- aber was würde passieren, wenn wir nach einer Woche wieder weg wären? Wir waren gekommen um zu sagen, dass Flüchtlinge in ganz Europa willkommen sein sollten. Wir hatten die schreckliche Situation im Knast von Pagani gesehen, aber wir wussten auch, dass es nicht nur um Pagani geht. Einige ukrainische AktivistInnen hatten uns von den Abschiebelagern im Osten erzählt, wir hatten gruselige Geschichten von versteckten Lagern z.B. in Libyen gehört. Es war nicht allein ein Problem hygienischer Standards in Pagani. Gemeinsam mit den Flüchtlingen forderten wir, dass es überhaupt keine Gefängnisse gibt – und stattdessen ein offenes Empfangszentrum und Bewegungsfreiheit. Wir wollten die Flüchtlinge nicht verstecken – wir wollten die europäische Gesellschaft dazu auffordern, sich ihren Forderungen anzuschließen. Daher wurde ein Info- und Begrüßungspunkt im Zentrum von Mytilene eröffnet.

In den ersten Stunden war es nur ein kleines Zirkuszelt, aufgestellt zwischen der Präfektur und dem städtischen Theater, an einem sehr öffentlichen Ort. Nach einem Tag war es bereits sehr viel mehr. Wie aus dem Nichts wurde es ein Ort, and dem du Menschen treffen konntest aus den unterschiedlichsten Orten der Welt, mit und ohne Papiere, die die verschiedensten Gründe hatten, an diesem Ort zu sein. Es wurde ein Ort geteilten Wissens und geteilter Geschichten, ein Ort der Tränen und des Lachens. Und nach einigen ersten Irritationen wurde es zu einem Ort, an dem viele auf Lesbos lebende Menschen ihre sonst oft versteckte Unterstützung für Flüchtlinge zum Ausdruck brachten. Die Leute brachten Kleider, Schuhe und Essen. Wir hatten Probleme zu lösen wie: Wie teilt man eigentlich ein gebratenes Hähnchen in mehr als 30 Stücke? Es gab Anrufe sogar aus Norwegen: "Hast du meine Familie gesehen?"

Die Flüchtlinge übernahmen viel Verantwortung für den Ort. Sie brachten Neuankömmlinge und halfen ihnen über den ersten irritierenden Tag. Manche kamen direkt aus dem Meer, die Schuhe noch salzverkrustet, sie fielen um und schliefen ein, wenn sie im Zelt ankamen. Wir mussten lernen mit Menschen umzugehen, die in den letzten 48 Stunden weder Essen noch Wasser noch Schlaf gehabt hatten und desorientiert waren. Eine Ärztin verband ungezählte wund gelaufene Füße und leistete erste Hilfe. AnwältInnen kamen, aus verschiedenen europäischen Ländern, und erklärten die Situation und die Rechte für Flüchtlinge – denn die meisten wollen weiterreisen in andere Länder.

Nachts, wenn die Stadt zur Ruhe kam, kam die Zeit der Gespräche, der Erläuterungen, wie der Krieg aussieht und was Hunger ist und wie es sich anfühlt zu leben, ohne eine andere Perspektive als weg zu gehen. Sie sprachen über tote Körper im Niemandsland zwischen dem Iran und der Türkei. Jungen und Mädchen, die die Verantwortung für kleinere Brüder und Schwestern und die Eltern auf ihren Schultern trugen, sprachen über die Sorgen über die Zurückgelassenen. "Seid vorsichtig!" sagten sie, wenn manche von uns weinten. "Ihr seid den Krieg und ein solches Leben nicht gewohnt. Hört lieber auf zuzuhören, wenn Ihr es nicht mehr aushalten könnt. Passt auf Euch auf, denn wir brauchen Euch als unsere Stimmen, so lange wir versteckt bleiben müssen."

Als die Präfektur ein temporäres offenes Flüchtlingslager in der Nähe des Flughafens eröffnete, entschieden zwei afghanische Familien, zusammen 20 Personen, dort hinzugehen und Registrierung ohne Internierung zu fordern. Es war dann das erste Mal, dass die Entscheidung getroffen wurde, sie zu registrieren, ohne sie in diesen grässlichen Knast zu stecken. Wir sahen, dass möglich ist, was alle zuvor für unmöglich gehalten hatten.

Nach eine Woche wurde das Zirkuszelt wieder abgebaut. Auf dem Platz wurde getanzt, und eine junge Frau beschrieb ihre Erfahrungen: "Am meisten dankbar bin ich dafür, dass ich gelernt habe, dass es mehr als eine Reise gibt. Als ich Somalia verließ, ging ich, um ein sicheres und besseres Leben für mich zu suchen. Und ich wollte meiner Familie helfen. Die Illusionen sind jetzt weg. Ich kann klar sehen, wie es in Europa im Moment aussieht und dass es nicht der sichere Ort ist, den ich zu erreichen hoffte. Dass wir in grässliche Gefängnisse gesteckt werden, dass Europa sein Militär ausschickt, um uns auf dem Meer zu bekämpfen... Ich habe noch nie so viel gelernt in solch kurzer Zeit. Es war ein harter Lernprozess, aber ich habe noch mehr gelernt. In diesen Tagen habe ich eine zweite Reise begonnen. In diesen Tagen beginnen wir all die anderen wahrzunehmen, die in denselben kleinen Booten sitzen und ums Überleben und Weiterkommen kämpfen. In den letzten Tagen gemeinsam mit Euch hier in Mytilene habe ich eine Ahnung davon bekommen, wie es sein könnte, wenn wir gemeinsam auf die Reise gehen. Vielleicht hin zu einem anderen Ort, den es in der Zukunft geben wird."



Mittragen

Unsere Gastfreundschaft für obdachlose Flücht­linge wird erst mög­lich durch Spenden und ehren­amtliche Mitarbeit
weiter...

Mitfeiern

Hausgottesdienste, Offene Abende und immer wieder mal ein Fest: Herzlich will­kommen bei uns im Haus der Gast­freund­schaft
weiter...

Mitbekommen

Möchten Sie regel­mäßig von uns hören und mit­bekommen, was pas­siert? Abonnieren Sie am besten unseren kosten­losen Rundbrief
weiter...

Mitleben

Immer wieder fragen uns interessierte Menschen, ob und wann sie uns be­suchen kommen können. Wir freuen uns sehr über dieses Inter­esse.
weiter...