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In was für einer Welt wollen wir leben?

Früh übt sich, wer zivilcouragiert handeln will - unsere Catholic Worker-Kinder am Eingang eines Truppenübungsplatzes, den sie danach inspiziert haben - mit Spürhund!

von Manuel Beyer / Juli und September 2014

Warum Edward Snowden auch mich betrifft.
„Ich will nicht in einer Welt leben, in der jeder Ausdruck von Kreativität, Liebe und Freundschaft aufgezeichnet und überwacht wird,“ sagt Edward Snowden, der Mann, der sein komplettes gewohntes Leben aufgegeben hat, um für Freiheit und Demokratie einzustehen. Alle Zitate habe ich aus zwei Internet-Videos entnommen, in denen er von sich und seiner Motivation erzählt.

Edward Snowden (29 Jahre) hat als externer Geheimdienst-Mitarbeiter der USA täglichen Zugang zu deren geheimen Aktivitäten. Er erlebt, wie die NSA im Namen des sog. nationalen Interesses und der sog. Terrorismusbekämpfung alles an Daten sammelt, speichert und analysiert, was sie erreichen kann. Und im Laufe der letzten Jahre wird ihm immer klarer, dass der Missbrauch dieser mächtigen Möglichkeiten zum Normalzustand geworden war. Er hätte mit seinen Befugnissen praktisch jeden abhören können: mich, meinen Anwalt, einen Bundesrichter oder auch den Präsidenten der USA. Eine Emailadresse genügt. Als Snowden mit seinem Wissen und den geheimen Unterlagen an die Öffentlichkeit geht, löst er Erschütterungen aus, mit denen sich auch der deutsche Bundestag bis heute beschäftigt. Aber was geht Edward Snowden mich persönlich an?

Zunächst eine kurze Zusammenfassung der Fakten: Die Snowden-Dokumente belegen, in welch ungeheurem Maße die US-Geheimdienste Telefongesprächsdaten in den USA und weltweit sammeln. Zusätzlich haben sie Zugang zu den Servern der großen Internetfirmen wie Facebook, Google, Yahoo, Apple, Microsoft, Skype. Und schließlich überwachen die Geheimdienste an den technischen Knotenpunkten in den USA praktisch die gesamte weltweite Internetkommunikation. Davon sind natürlich auch alle Menschen in Deutschland betroffen, die telefonieren, Emails schreiben oder das Internet nutzen.

Edward Snowdens eigener Weg vom Kriegsfreiwilligen einer US-Eliteeinheit über den auf Hawaii lebenden und gutes Geld verdienenden NSA-Analysten zum weltweit gesuchten „Whistleblower“, kam nicht plötzlich, sondern entwickelte sich Schritt für Schritt. Er wollte unterdrückte Völker befreien und erlebte, wie Kriegsverbrechen vertuscht werden und in der Öffentlichkeit ein falsches Bild der Wirklichkeit erzeugt wird. Er beobachtet, dass die Geheimdienste keine Grenzen kennen, dass sie das Parlament belügen und dass ihre Strukturen der Macht die Freiheit der Menschen zerstören, die sie zu schützen behaupten.

Er wuchs – wie viele seiner Generation – in der Überzeugung auf, dass alle Menschen das Recht auf Kommunikationsfreiheit und Privatsphäre haben. Und er erlebte, wie diese Rechte missachtet und zerstört werden. Irgendwann wurde ihm klar: „Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, die das tut.“ Denn „ich will nicht in einer Welt, leben in der jeder Ausdruck von Kreativität, Liebe und Freundschaft aufgezeichnet und überwacht wird.“ Er wollte einfach nicht mehr mitbauen an dieser „Architektur der Unterdrückung, die jede Generation schlimmer wird.“ Muss nicht die Öffentlichkeit entscheiden, wie sie leben und sich vor Gefahren schützen will anstatt geheime Dienste und inoffizielle Gerichte?“, so seine Frage.

Snowden hatte ein angenehmes Leben auf Hawaii mit seiner Freundin und einem guten Einkommen. Er beschreibt seine Entscheidung zur Zivilcourage als Wahl zwischen einem Leben in Bequemlichkeit und einem Leben in Freiheit für alle. Mehrfach betont er in dem Interview, dass die Öffentlichkeit entscheiden soll, wie sie sich schützen will und welche Eingriffe in ihr Privatleben sie bereit ist hinzunehmen.

Und dann macht er noch einmal deutlich, warum uns alle die Datensammelwut der Geheimdienste betrifft: „Du musst überhaupt nichts falsch gemacht haben, du musst nur irgendwie in Verdacht geraten.“ Alle unsere Kontakte und Beziehungen werden beobachtet und aufgezeichnet. Und dann reicht ein falscher Anfangsverdacht, und deine gesamte Vergangenheit kann durchleuchtet werden, alle Daten, jede Querverbindung steht unter diesem Generalverdacht. Zweitens warnt uns Edward Snowden, dass das heutige Überwachungssystem bereits derart ausgebaut ist und so mächtige Möglichkeiten enthält, dass jeder Anlass wie eine politische Krise oder ein Machtwechsel mit einem Fingerschnipps in die totale Überwachung einer Tyrannei umschlagen kann.

Snowden spürt die Pflicht, dagegen aufzustehen, seine Stimme zu erheben und öffentlich zu machen, wie Macht missbraucht wird. Auch wenn er sagt, „Ich habe Angst (vor der US-Regierung) für den Rest meines Lebens“, tritt er ein für eine Gesellschaft, die nicht auf Misstrauen, Bespitzelung und Überwachung aufgebaut ist.

In was für einer Welt will ich leben? Wofür stehe ich auf? Wofür bin ich bereit, Konsequenzen zu tragen? In diesen Fragen und in seinem Handeln erkenne ich viele Parallelen zur Spiritualität der Catholic-Worker-Bewegung. Wir nennen es „Personalismus“ und meinen damit: nicht nach dem Erfolg einer Sache zu fragen oder nach der Bezahlung, sondern das zu tun, was ich als richtig erkannt habe; die Welt um mich herum wahrnehmen und Verantwortung für mich und mein Tun übernehmen. Und wir nennen es „Direkte Aktion“ und meinen damit: Ich tue etwas gegen das Unrecht hier und jetzt. Ich tue es nicht, indem ich den Dienstweg einhalte oder Eingaben verfasse. Snowden hatte dies einige Jahre bei seinen Vorgesetzten versucht und geglaubt durch US-Präsident Obama würden die Bürgerrechte besser geschützt. Sondern ich lasse mich persönlich und direkt in die Sache verwickeln, ich handele unmittelbar.

Wofür trete ich ein? Wer zahlt den Preis für mein Nicht-Handeln? Die Fragen, die Snowden mir stellt, gehen nicht aus. Zivilcourage ist eine Herausforderung, die sich mir jeden Tag von neuem stellt.

Gerechtigkeit und Menschenrechte – Obamas Jagd auf die Wächter der Demokratie

Warum aber betreffen die Enthüllungen des US-Geheimdienst-Whistleblowers Edward Snowden nicht bloß mich persönlich, sondern uns alle als Gesellschaft? Weil der Präsident der USA, Barack Obama, zwar im Wahlkampf 2008 versprochen hat, Whistleblower zu schützen, und ihr Handeln als Akt der Courage und des Patriotismus gelobt hat. Unter seiner Präsidentschaft wurden allerdings doppelt so viele Regierungsmitarbeiter nach dem Spionagegesetz von 1917 angeklagt wie unter allen anderen Präsidenten zusammen. Und diese Anklagen beschneiden einen rechtsstaatlichen Prozess massiv. Ihre Botschaft: Wer sich als Whistleblower wehrt und einen Prozess anstrebt, riskiert den Rest seines Lebens im Gefängnis zu verbringen. Der CIA-Analyst John Kiriakou, der die Waterboarding-Folter (sie täuscht dem Menschen vor sie/ihn zu ertränken) öffentlich machte, wurde mit mehreren Jahrzehnten Freiheitsentzug bedroht und akzeptierte dann 30 Monate Gefängnis.

Ein anderes wichtiges Vorbild für Snowden war und ist die ehemalige US-Soldatin Chelsea (früher Bradley) Manning. Sie hatte zahllose Dokumente enthüllt, die die Kriegsverbrechen der USA im Irak und in Afghanistan belegen. Am bekanntesten wurde sicherlich das Video aus einem US-Kampfhubschrauber, das die Ermordung mehrerer irakischer Zivilisten und zu Hilfe eilender Journalisten zeigt. Zusätzlich verstörend und menschenverachtend ist darin die Unterhaltung der Piloten: Sie sprechen über die gerade von ihnen ermordeten Menschen wie in einem Computerspiel. Sie hat dieses und viele weitere Dokumente an die Enthüllungswebsite „WikiLeaks“ weitergegeben. Manning wurde danach verhaftet und kam in monatelange Isolationshaft, sie wurde auf über hundert Jahre angeklagt und ist nun für über 35 Jahre im Gefängnis.

Besonders erschreckend aber ist die Art und Weise der „Rechtsprechung“. Das oben beschriebene Video und alle anderen enthüllten Dokumente wurden vom Prozess ausgeschlossen und damit auch das Thema Kriegsverbrechen der USA im Irak und Afghanistan. D.h. der Grund für Mannings Enthüllungen durfte nicht als Beweis im Prozess verwendet werden. Zusätzlich klagte die US-Regierung Manning ohne Beweise an, dass sie die nationale Sicherheit und Menschenleben gefährdet habe. Mannings Anwälte durften nicht gegen diese unbewiesene Anklage argumentieren. Die Anwälte sahen dadurch eine echte Verteidigung faktisch ausgehebelt.

Manning durfte sich außerdem nicht auf moralische und internationale Gesetze berufen. Die Vereinten Nationen hatten nach dem Zweiten Weltkrieg die sogenannten Nürnberger Prinzipien entwickelt: Angesichts der Gräueltaten während der Nazidiktatur definieren diese, was Kriegsverbrechen sind. Und sie machen alle Bürger verantwortlich für ihr Tun; selbst wenn es ihnen nach nationalen Gesetzen befohlen wird, ist jeder Bürger für Kriegsverbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich. Die Nürnberger Gesetze der Vereinten Nationen würden die Piloten des Kampfhubschraubers verurteilen und sie sollen Whistleblower wie Manning schützen. Aber auch diese Argumente wurden Chelsea Manning und ihren Anwälten vom Gericht verboten. Befreundete Catholic Worker berichten uns regelmäßig von genau denselben Erfahrungen vor US-Gerichten, wenn sie gewaltfrei gegen Atomwaffen oder Drohnentötungen protestieren.

Wir wissen durch Manning von über 66.000 ermordeten Zivilisten allein im Irak zwischen 2004 und 2009, wir wissen von illegalen Drohnentötungen, Kampfjeteinsätzen gegen Dörfer, Vergewaltigungen und Folterungen. In Afghanistan, im Irak, im Jemen, in Pakistan und in Somalia leiden die Menschen täglich unter diesen Angriffen der USA und ihrer Verbündeten. Sie brauchen keine Whistleblower, denn sie erleben die tödliche Bedrohung jeden Tag von neuem. Ein fairer Prozess mit Manning als Zeugen gegen die Kriegsverbrecher, würde ihnen zeigen, dass wir uns von ihrem Leid betreffen lassen und Gerechtigkeit suchen.

Das alles betrifft uns als deutsche Gesellschaft, weil wir aus unserer historischen und heutigen Verantwortung den Bürgerrechten und rechtsstaatlichen Prinzipien verpflichtet sind. Kommentatoren in den USA haben den Militärprozess gegen Manning als gar als „politischen Schauprozess“ beschrieben. Denn in einer gerechten Gesellschaft wäre Manning ein Zeuge der Anklage gegen diese Kriegsverbrechen. Aber, so die US-Kommentatoren, unsere moralische und rechtliche Ordnung ist ins Gegenteil verkehrt. Die Fassade von Demokratie und Gewaltenteilung ist fallen gelassen. Die staatliche Macht ist ohne Grenzen und sie wird missbraucht. „Wir sind zu einer riesigen Strafkolonie geworden“, so der US-Kolumnist Chris Hedges. Wer gegen ihre Regeln verstößt wird zum politischen Gefangenen; er oder sie darf noch um Gnade bitten. Doch Bürger mit Zivilcourage wie Manning oder Snowden müssen ins Exil fliehen. Wo stehen wir als deutsche Gesellschaft in dieser weltweiten Auseinandersetzung um Menschen- und Freiheitsrechte?

Auch Edward Snowden würde in den USA ein Prozess nach dem Spionagegesetz von 1917 und denselben Regeln wie gegen Manning erwarten. Ganz offen wird gefordert, an den beiden ein Exempel zu statuieren. Snowden entgegnet ihnen: „Ich will nicht, dass die Geschichte sich um mich dreht. Es soll darum gehen, was die US-Regierung tut.“ Bereits vor 200 Jahren schrieb uns Henry D. Thoreau ins demokratische Stammbuch: „Unter einer Regierung, die Menschen zu Unrecht einsperrt, ist der Platz eines gerechten Menschen ebenfalls im Gefängnis.“ Chelsea Manning sagt mit seinen Worten: „Manchmal musst du einen hohen Preis bezahlen, um in einer freien Gesellschaft zu leben.“

Wie beziehe ich Position in dieser Auseinandersetzung? Welche Rolle übernehmen wir als deutsche Gesellschaft gegenüber Menschen mit einem Gewissen und der Zivilcourage danach zu handeln? Bieten wir ihnen Asyl und Schutz an? Snowden und Manning treten ein für Freiheit, Menschenrechte und einen demokratischen Rechtsstaat. Wofür tritt jede und jeder von uns hier in Deutschland ein? Was ist uns Gerechtigkeit und eine faire Rechtsprechung wert? Bin ich bereit mich dafür persönlich zu engagieren?



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