Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit
Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
Babylon brennt!

von Anthony Gwyther / Dezember 2001

Die Ereignisse in den USA im September haben sicherlich auf der ganzen Welt Gedanken und Gefühle ausgelöst. Die nachfolgenden Ideen zur Verbindung der Anschläge mit der biblischen Apokalypse macht Anthony Gwyther. Er lebte mehrere Jahre in Australien in einer Catholic-Worker-Gemeinschaft. Im November besuchten er und seine Frau Tanja uns für zwei Wochen.

 

Offenbarung 18,9-11, 15-17

Wenn die Könige der Erde, die mit ihr gehurt und im Luxus gelebt haben, den Rauch der brennenden Stadt sehen, werden sie ihretwegen jammern und klagen. Sie werden sich in weiter Entfernung halten, weil sie Angst vor den Qualen der Stadt haben. Sie werden klagen: »Wie schrecklich! Wie furchtbar! Das große und mächtige Babylon! Innerhalb einer Stunde ist das Gericht über dich hereingebrochen!«

Auch die Kaufleute der Erde werden um sie weinen und trauern, denn niemand kauft mehr ihre Waren. ... Die Kaufleute, die durch ihre Geschäfte in dieser Stadt reich geworden sind, werden sich in weiter Entfernung aufhalten, weil sie Angst haben vor den Qualen der Stadt. Sie werden trauern und klagen und sagen: »Wie schrecklich! Wie furchtbar für diese mächtige Stadt! .... Innerhalb einer einzigen Stunde hat sie den ganzen Reichtum verloren!«

 

Die Ereignisse in New York und Washington am 11. September bieten Antworten für jene, die im Buch der Offenbarung nach den Zeichen der Zeit suchen. Die rauchenden Ruinen des World Trade Centers und des Pentagons weisen für manche darauf hin, dass sich der Untergang Babylons jetzt ereignet. Für jene, die die Bibel wortwörtlich verstehen, erscheint es so, dass das letzte Buch der Bibel diese Tage vorhersagt. Allerdings hatte Johannes eine scharfsinnige (d.h. biblische) Auffassung von Imperium: Johannes verstand, wie und warum die imperialistischen Herrscher tun, was sie tun. Für Johannes war zwar Rom das herrschende Imperium, doch seine Botschaft ist klar: Hast du eines gesehen, dann hast du alle gesehen. Johannes verdankte diese Einsicht in die schreckliche Wahrheit des Imperiums seinem privilegierten visionären Zugang zum Himmel: Dort konnte Johannes das Imperium so sehen, wie Gott es sieht: gewalttätig, korrupt, selbstbedienend, verführerisch. Als Symbole des Imperiums hätte der Angriff vom 11. September keine besseren Ziele für die Verbrechen des Imperiums, wie Johannes sie offenbart hat, wählen können.

Diese Schläge gegen die Zwillingssäulen des US-amerikanischen Imperiums - die Wirtschaft und das Militär - trafen genau ins Herzen des amerikanischen Selbstverständnisses. Dies war ein "Angriff auf Amerika" - eine Aussage, die in den Medien wie ein Mantra wiederholt wurde. Mit den Zwillingstürmen waren beispielhaft der Kapitalismus und mit dem Pentagon der Militarismus angegriffen worden. Im Irak, im ehemaligen Jugoslawien und im Sudan haben wir amerikanische Präzisionsbomben am Werk gesehen - und auch dies war ein Präzisionsangriff. Aber, wie der US-amerikanische Zeitkritiker Noam Chomsky es formuliert hat: "Zum ersten Mal haben die Gewehre in die andere Richtung gezeigt."

PolitikwissenschaftlerInnen sagen uns, dass Imperien aus einem Zentrum und einem Rand bestehen. Das Zentrum benutzt den Rand, um seine eigenen Ziele zu verfolgen: die Gewinnung von Rohstoffen und den Schutz seiner Außengrenzen. Zivilisierte Imperien bewahren sich eine gewisse Anständigkeit im Zentrum, während es an den Rändern weniger anständig zugeht. Dort ist das eigene Gesetz weniger bindend, die Aktionen sind brutaler, und die Ausbeutung ist vollständiger. Manchmal reagieren die Ränder auf ihre Demütigung mit Gewalt - so geschehen in Beirut 1983, in Dar-es-Salaam und Nairobi 1998. Selten jedoch werden die Menschen im Zentrum aus nächster Nähe zu Zeugen der schrecklichen Folgen ihrer imperialen Aktionen. Der 11. September war eine Ausnahme zu dieser Regel.

Die Antwort unserer westlichen Führer, der großen Medien und der Öffentlichkeit auf dieses neuartige Ereignis kann als Ungläubigkeit, Wut und dann als Verlangen nach Rache bezeichnet werden. Tatsächlich hat Amerika als Imperium keine andere Möglichkeit, als diesem Kurs zu folgen. Während von jenen am Rand erwartet wird, dass sie ihr Leiden ohne Widerrede ertragen, kann das Imperium es nicht zulassen, dass es im Kernland eine solche Demütigung erleidet, ohne darauf eine vernichtende Antwort folgen zu lassen.

Auch wenn die imperiale Antwort vollständig vorhersehbar ist, müssen wir nicht zwangsläufig diesem Kurs folgen. Die Medien stellten wie besessen die Frage nach dem Wie und Wer, die Frage nach dem Warum schien verboten. Wenn wir die Ursachen des Terrors entwurzeln wollen ist jedoch die unerlaubte Frage "Warum haben Menschen solch etwas Schreckliches getan?" entscheidend. Wir brauchen gar nicht zu tief nach Antworten graben. Falls die Täter dieser Handlung tatsächlich aus dem Mittleren Osten kommen, falls Osama bin Laden direkt oder indirekt dafür verantwortlich ist, dann finden wir schnell eine Antwort: Die langanhaltende Unterstützung der USA für die Besetzung Palästinas durch Israel; der Gebrauch von Saudi Arabien als Ausgangspunkt für bewaffnete Angriffe auf den Irak; die mittlerweile zehn Jahre währenden Sanktionen gegen eben dieses Land, woran Hunderttausende gestorben sind.

In der biblischen Vision des Johannes verstehen jene, die die Zerstörung Babylons erleben, die WARUM-Frage. Die Herrscher und Händler dieser Welt wissen, dass Babylon wegen der vielen Sünden dieser Stadt brennt. Sie sehen in der Zerstörung Babylons das Urteil über seine imperialen Verbrechen. Die Ereignisse vom 11. September sind mit viel apokalyptischer Rhetorik umschrieben worden. "Apokalyptisch" bedeutet jedoch eigentlich eine Enthüllung, eine Offenbarung der Wahrheit. Solche Ereignisse bieten eine Gelegenheit, den Schleier der Unwahrheit, der sich täglich als Realität ausgibt, gelüftet zu sehen. Für einige war dies zweifellos der Fall. Die dominierende Reaktion unserer (Ver-)Führer und der Medien jedoch war es, diese apokalyptischen Ereignisse so zu deuten, dass sie die wahren Beziehungen zwischen den Reichen und den Armen, zwischen Gewalt und Demütigung, zwischen dem zivilisierten "Wir" und dem bösen "Sie" verbergen.

Johannes von Patmos versuchte, im Kontext einer imperialen Kultur die Wahrheit über Gott und das Imperium zu enthüllen. Wir können bei dieser Aufgabe in seine Fußstapfen treten. Johannes von Patmos möchte uns die Augen öffnen für die imperialen Realitäten unserer Zeit, für die Überheblichkeit der Besitzenden und die Unverletzlichkeit der westlichen Macht. Als der Rauch von New York und Washington verzogen war, hätte dieses Ereignis dazu dienen können, zu offenbaren, wie ungerecht die Verteilung von Wohlstand und Macht in unserer Welt ist. Statt dessen wird sehr wahrscheinlich die Macht der Gewalt und des Todes dadurch gefestigt. So oder so, jene unter uns, die sich mit der Wahrheit der Vision des Johannes identifizieren, sind aufgerufen, "aus der großen Stadt zu fliehen", um dadurch nicht an den Sünden des Imperiums teilzuhaben.

 

(aus dem Englischen übersetzt von Dietrich Gerstner)



Mittragen

Unsere Gastfreundschaft für obdachlose Flücht­linge wird erst mög­lich durch Spenden und ehren­amtliche Mitarbeit
weiter...

Mitfeiern

Hausgottesdienste, Offene Abende und immer wieder mal ein Fest: Herzlich will­kommen bei uns im Haus der Gast­freund­schaft
weiter...

Mitbekommen

Möchten Sie regel­mäßig von uns hören und mit­bekommen, was pas­siert? Abonnieren Sie am besten unseren kosten­losen Rundbrief
weiter...

Mitleben

Immer wieder fragen uns interessierte Menschen, ob und wann sie uns be­suchen kommen können. Wir freuen uns sehr über dieses Inter­esse.
weiter...