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Eine Welt ohne Grenzen
von Nora Ziegler / September 2019 Dieser Artikel erschien im Rundbrief des London Catholic Worker im Sommer 2018. Am 19. Juni 2018 hielt der London Catholic Worker gemeinsam mit ei-nigen anderen Gruppen, die sich ebenfalls für Geflüchtete und Mig-rant*innen einsetzen, eine Mahnwache vor dem britischen Innenministe-rium. Wir verlasen die Namen von Menschen, die an den europäischen Grenzen und wegen der extremen Abschreckungspolitik Großbritanniens gestorben waren. Wir taten dies, um an sie zu erinnern und um Gerechtigkeit für alle Geflüchteten und Migrant*innen einzufordern. Die Namen hatten wir von einer Liste, die die Zeitung „Guardian“ am 20. Juni veröffentlicht hatte. Ich werde manchmal gefragt, ob es überhaupt keine Grenzen geben solle. Ich finde diese Frage irreführend. Um zusammen zu leben und das Leben als Gemeinschaften und Gesellschaften zu organisieren, brauchen wir Strukturen und Institutionen. Wenn allerdings solche Strukturen unterdrückerisch und gewalttätig werden, sollten wir in der Lage sein, diese zu ändern, ihnen zu widerstehen und sie manchmal auch abzuschaffen. Unsere europäischen Grenzen sind kein natürliches Phänomen. Sie sind gesellschaftliche und politische Einrichtungen, die in den letzten Jahren zunehmend militarisiert wurden, so dass die Menschen gezwungen wurden, immer gefährlichere Reiserouten zu nehmen, was wiederum das Leiden und den Tod von Tausenden verursacht hat. Die feindselige Abschreckungspolitik von Großbritannien beraubt Menschen der grundlegenden Fähigkeit zum Überleben und an der Gesellschaft teilzunehmen. Sie zerstört Familien, den Selbstwert und die geistige Gesundheit von Menschen, so wie sie auch Ursache für das Sterben durch Verhungern, Mangel an medizinischer Versorgung und Selbstmord ist. Militarisierte Grenzen und feindselige Einwanderungspolitik(en) beschützen die Mächtigen und Reichen von den armgemachten, den entwurzelten und den entrechteten Menschen dieser Erde. Je mehr Macht in den reichsten und mächtigsten Ländern der Erde konzentriert ist, um so mehr Menschen werden zum Zentrum der Macht angezogen und getrieben. Der einzige Weg, diese Bewegung zu stoppen, ist entweder der Einsatz unbarmherziger Gewalt oder die Dezentralisierung der Macht, und zwar durch Umverteilung des Reichtums und die Entmilitarisierung der Grenzen. In unserer globalisierten Welt mit riesigen und wachsenden Ungleichheiten an Reichtum und Macht können nationale Grenzen als eine Form der Segregation im Sinne einer Trennung der Unterdrückten von den Unterdrücker*innen verstanden werden und Migration als eine Art Bürgerrechtsbewegung. Migration, Zuflucht suchen und das Anbieten von Gastfreundschaft und die Unterstützung für Migrant*innen und Geflüchtete können als Akte des Zivilen Ungehorsams gesehen werden, die ungerechte Institutionen und ihre Politik herausfordern. Migrant*innen, Geflüchtete und ihre Verbündeten widerstehen und unterwandern Grenzen nicht nur, sondern sie weigern sich, die ihnen zugrunde liegende Logik zu verinnerlichen. Wir bestehen darauf, dass alle Menschen, unabhängig von ihrer Nationalität, den gleichen Wert und die gleiche Würde und das Recht auf Bewegungsfreiheit in unserer gemeinsamen Welt haben. Es gibt eine klare christliche Berufung, die Fremden willkommen zu heißen und ungerechte gesellschaftliche und politische Strukturen herauszufordern. Als Christ*innen haben wir die Verantwortung, dass wir Stellung beziehen gegen gewalttätige Grenzen und Einwanderungspolitiken. Es gibt jedoch manchmal die Tendenz, Fluchtbewegungen nur als humanitäre Aufgabe anzusehen. Dieser Ansatz hilft den Geflüchteten, ohne die politischen Praktiken, die Menschen zur Migration zwingen oder sie ihrer grundlegenden Rechte berauben, zu hinterfragen. Andererseits fällt manchmal das Argument, dass wir uns auf die Ursachen für Migration (und Flucht) wie Kriege, Waffenhandel und Klimawandel konzentrieren sollten, statt nationale Grenzen zu kritisieren. Allerdings ist eine wesentliche strukturelle Ursache für Migration die extreme Konzentration weltweiter Macht, die durch die Existenz nationaler Grenzen ermöglicht wird. Was hält uns von einer tieferen Kritik der Grenzen ab? Diejenigen, die privilegiert sind durch unterdrückerische Strukturen wie Grenzen, haben Mitleid mit den Unterdrückten. Aber sie befürchten, dass die Abschaffung dieser Strukturen zu Anarchie und Chaos führen würde. Die Frage der Grenzen kann nicht von der weltweiten Ungerechtigkeit getrennt werden, und es ist sicherlich schwer zu akzeptieren, dass ein weltweites System der (Rassen-)Trennung / Segregation den Reichtum und die Macht für uns Menschen in Europa schützt. Die Frage für uns Christ*innen ist letztlich, ob wir an Grenzen glauben, um unseren Reichtum aufzuhäufen, oder ob wir an Gott glauben, die Leben in Fülle für alle ihre Kinder verspricht? Gott ist schon bei den Migrant*innen und Geflüchteten, begleitet sie auf ihren Wegen, in den Gefängnissen, weint mit ihnen über ihre Ablehnungsbescheide und gibt ihnen Hoffnung und Kraft zum Durchhalten. Gottes Geistkraft war gegenwärtig bei unserer Mahnwache, als wir um die toten Migrant*innen und Geflüchteten trauerten, und diese Geistkraft ist gegenwärtig in unserem Haus der Gastfreundschaft und ermöglicht es uns, trotz unserer Unterschiede, zusammen zu leben, uns zu lieben und auszuhalten. Gottes Geistkraft ist schon und war schon immer in der Stille am Wirken, um unsere Staatsgrenzen und unterdrückerischen Institutionen umzustürzen und die Macht und den Reichtum unter allen Menschen zu verteilen. Ich sehe es als Gottes Gnade an, dass die Geistkraft Wege findet, die ungerechten Regeln und Institutionen aufzubrechen und umzustürzen, die wir aufbauen und an denen wir festhalten, oftmals in dem guten Glauben, dass wir uns für fair und großherzig halten, oder auch aus Furcht und aus Gefühlen der Machtlosigkeit. Unsere Herausforderung ist es nicht, eine perfekte Welt zu entwerfen. Unsere Herausforderung ist es, auf die Geistkraft in unserem Herzen zu hören und ihr zu erlauben, uns über Grenzen hinweg zu führen und uns dazu zu bewegen, dass wir unsere Türen öffnen. |
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