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Gewaltfreier Anarchismus und anarchistischer Pazifismus

von Gabriel Kuhn / Juni 2017

Wir veröffentlichen hier eine Rezension des Buches von Sebastian Kalicha, Gewaltfreier Anarchismus & anarchistischer Pazifismus. Auf den Spuren einer revolutionären Theorie und Bewegung. Illustriert von Daniel Grunewald. Das Buch ist 2017 erschienen im Verlag Graswurzelrevolution in Heidelberg, hat 278 Seiten und 65 Abbildungen. Es kostet 16,90 € und ist im Buchhandel erhältlich. Zu den im Buch dargestellten Persönlichkeiten zählt auch Dorothy Day, die Mitgründerin der Catholic Worker-Bewegung, zu der wir uns zählen.

Gewaltfreie Anarchist*innen“ werden oft als Anarchist*innen verstanden, die Gewalt ablehnen. Dies wird entweder moralisch gelobt oder taktisch abgelehnt, Letzteres gerne mit spöttischem Einschlag („Hippies“, „Müslis“, „Friedenspolizei“). Einer der größten Verdienste von Sebastian Kalichas nun vorliegendem Überblicksband Gewaltfreier Anarchismus und anarchistischer Pazifismus (Begriffe, die er synonym verwendet) ist es, diesen vereinfachten Blick zurückzuweisen.

Kalicha erklärt: „In vielen … Debatten wird … übersehen, dass, bei aller Wichtigkeit von Fragen der Mittel, die Kritik gewaltfreier AnarchistInnen sich keineswegs in der Frage ‚Sollen wir Gewalt anwenden oder nicht?‘ erschöpft. Sie ist keine negative Kritik, die Gewalt schlicht ablehnt, ohne dabei eine sie ersetzende Alternative vorzuschlagen. Gewaltfrei-anarchistische Praxis bleibt nicht einfach an dem Punkt stehen, an dem es potentiell zur Gewalt kommt, ihre Analyse nicht bei dem Für und Wider direkter, physischer Gewalt. Die Argumentation hat drei Hauptaspekte: Gewaltkritik wird als integraler und essentieller Bestandteil einer umfassenden anarchistischen Theorie und (Gesellschafts-)Kritik, Gewaltfreiheit als eine revolutionäre, aktive und subversiv-herrschaftslose Praxis und Kampfform verstanden, die viel tiefer geht und in der Aktion viel weiter reichende Alternativen anbietet, als dies einschlägige Debatten vermuten lassen. Und drittens ist praktizierte Gewaltfreiheit viel mehr als eine schlichte Entscheidung für eine bestimmte Taktik, sondern auch immer die Vorwegnahme eines konkreten Ziels, nämlich der gewaltfreien und herrschaftslosen – also anarchistischen – Gesellschaft.“ (S. 11)

Kalicha teilt seinen 250 Seiten starken Band in drei Teile:
Teil 1 diskutiert für die Bestimmung des gewaltfreien Anarchismus wichtige Themen wie die Relation von Zielen und Mitteln, die sogenannte „vorwegnehmende“ (oder „präfigurative“) Politik und begriffliche Fragen zu Antimilitarismus, Pazifismus, Gewaltfreiheit und Gewaltlosigkeit.
Teil 2 porträtiert 54 Denker*innen, die einen gewaltfreien Anarchismus vertraten, einem solchen nahestanden oder ihn und seine Überzeugungen beeinflussten. Neben zu erwartenden Größen wie Henry David Thoreau oder Leo Tolstoi finden sich hier auch Überraschungen wie Simone Weil oder Kurt Vonnegut sowie weniger bekannte Persönlichkeiten wie Olga Misař oder Madeleine Vernet, deren Kurzbiografien von besonderem Wert sind.
Teil 3 fokussiert auf Bewegungen, Organisationen und Projekte, in denen Ideen des gewaltfreien Anarchismus eine Rolle spielten. Dies ist aus mehreren Gründen erfreulich: die Behandlung des Themas bleibt nicht, wie so oft, bei der Präsentation einzelner, herausragender Vertreter*innen stehen; die Bedeutung des gewaltfreien Anarchismus wird durch seine Verortung in Basisbewegungen – von der No Conscription League über die Pflugscharbewegung bis zu Anarchists Against the Wall lebendig und greifbar; und es kommt zu interessanten Perspektiven auf Phänomene wie die Punk-Bewegung, die politische Opposition in der DDR und den „Hacktivismus“.

Das vielleicht größte Verdienst des Buches ist es, konsequent jene Polarisierung zu vermeiden, die in der „Gewaltdebatte“ auch (oder gerade?) im Anarchismus so unerhört unproduktiv ist: Gewaltfreie und Pazifist*innen hier – Gewaltbereite und Militante dort.

Kalichas Ton ist weder belehrend noch moralisierend. Sachlich und unaufgeregt stellt er eine seit Beginn der anarchistischen Bewegung einflussreiche Strömung in ihren vielfältigen Ausdrucksformen dar. Damit profitieren gerade auch Leser*innen von dem Buch, die sich selbst nicht als gewaltfreie Anarchist*innen verstehen. Letztere wiederum werden sich über die lange überfällige Einführung freuen. Dass dieser im Verlag Graswurzelrevolution erschien, ist nur stimmig, steht das Projekt Graswurzelrevolution doch wie kein anderes für die anhaltende Bedeutung des gewaltfreien Anarchismus im deutschsprachigen Raum.

Ein erfreulicher Bonus des Buches sind die Illustrationen von Daniel Grunewald, die die porträtierten Persönlichkeiten und Bewegungen – im wahrsten Sinne des Wortes – noch anschaulicher machen.

Gewaltfreier Anarchismus und anarchistischer Pazifismus. Auf den Spuren einer revolutionären Theorie und Bewegung ist allen an anarchistischer Theorie und Praxis Interessierten zu empfehlen. Wie sie sich in der „Gewaltfrage“ positionieren, spielt dabei keine Rolle.

Gabriel Kuhn, veröffentlich im Juni 2017 auf: www.alpineanarchist.org/r_kalicha_gfrei_rezension.html



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