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25 Jahre Kirchenasyl in Hamburg

Elias Bierdel / Dezember 2009

Am 7. November erinnerten wir uns in der Christianskirche in Hamburg-Altona an das erste Hamburger Kirchenasyl im Jahr 1984. Seit damals erlangten viele Flüchtlinge durch die engagierte Intervention von Kirchengemeinden gegen staatliches Handeln ihr Recht. Elias Bierdel hielt bei dieser Feier folgenden Impulsvortrag.

Wenn die Organe des Staates versagen führt das vielfach zum Tode. Wo Menschen in diesem Land abgeschoben, deportiert werden; wo man ihnen Schutz und Hilfe verweigert, Asylsuchende abweist und ihrem Schicksal überlässt; kurz: überall da, wo die Rettung möglich wäre aber unterbleibt, da haben wir es mit einem solchen gefährlichen Organversagen zu tun. Und auch wenn die Abgeschobenen, Deportierten, die Abgewiesenen und Unerwünschten im Einzelfall physisch vielleicht am Leben bleiben mögen, so droht etwas in uns abzusterben. Nennen wir es Nächstenliebe, nennen wir es Menschlichkeit oder Solidarität.

Seit den 80er Jahren ist der Widerstand gegen die staatlich verordnete Unmenschlichkeit, die Asylsuchende, Migrierende, überhaupt so genannte „Ausländer“ bei uns jederzeit treffen kann und trifft, konfessionsübergreifend organisiert – und seit 1984 wird auch in Hamburg jene letzte Notmaßnahme praktiziert, die wir als „Kirchenasyl“ kennen: Schutz für Verfolgte und Bedrohte in den Räumen einer christlichen Gemeinschaft.

Der Staat erkennt dieses Widerstandsrecht nicht an: Juristisch existiert kein „Kirchenasyl“. Allenfalls die lange Tradition, nach der seit dem Altertum in heiligen Bezirken die Macht weltlicher Fürsten endete, lässt staatliche Stellen noch vor dem Sturm dieser besonderen, „geschützten Räume“ innehalten. ... Dennoch kommt es immer häufiger zu Polizeimaßnahmen und Anklagen gegen Flüchtlinge und Helfer.

Der Druck nimmt zu. Er nimmt zu, wenn jene kleinen Lücken, in denen Menschlichkeit noch stattfinden kann, systematisch und erbarmungslos durch Gesetze und Verordnungen geschlossen werden. Asylrechtsverschärfung, Rückführungsabkommen usw. nennt man das. Da sieht man dann, wie mit den Abzuschiebenden auch ihre Helferinnen und Helfer zermalmt und zerquetscht werden.

Der Druck nimmt zu, wo die Ermessensspielräume der durchführenden Behörden ungenutzt bleiben. Wenn kalt und stur vollzogen wird, was keiner Vernunft gehorcht und keinen Sinn erfüllt als einzig den, Menschen loszuwerden, fortzuschaffen. Von Mitgefühl, einem unserer edelsten, vielleicht DEM menschlichen Zug schlechthin, gar nicht zu sprechen.

Wenn wir den Blick heben, sehen wir, wie an den Grenzen rund um unseren Kontinent die Mauern immer höher gezogen werden. Wir sehen dann, dass europäische BeamtInnen Jagd auf Flüchtlinge und Migrierende machen, wie Hubschrauber und Kriegsschiffe im Einsatz sind, um Menschen daran zu hindern, uns auch nur um Schutz und Hilfe bitten zu können. Menschen, die sich in kleinen Booten nach Europa aufmachen, werden unter Bruch praktisch aller internationalen Vereinbarungen zurückgewiesen. Vor Lampedusa, den Kanarischen Inseln, in der griechischen Ägäis und anderswo ringsum sind die Menschenrechte abgeschafft. Dort existiert für Flüchtlinge nicht einmal mehr das Recht auf Leben. Wenn wir das sehen, wird uns klar, dass der Druck auch auf die, die es immerhin bis zu uns geschafft haben, noch steigen wird. Und auf ihre HelferInnen.

Es ist gerade in diesen Tagen, wo wir uns voller Freude daran erinnern, wie der schreckliche „eiserne Vorhang“ zu Fall kam, unerlässlich, klar und unerschrocken hinzusehen, was sich heute an den gemeinsamen europäischen Außengrenzen abspielt. Und es eindeutig auszusprechen: die „Schandmauer“ ist nicht verschwunden – sie steht heute lediglich an anderer Stelle. Stacheldraht und Schießbefehl, Hunde an Laufleinen und Minenfelder – bis ins technische Detail ähneln die Zäune vor Ceuta und Melilla der Mauer. Und tausende Opfer, die Mauertoten von heute, werden von der offiziellen Politik verschwiegen – diesmal aber nicht von einer wirtschaftlich wie moralisch abgewirtschafteten Clique von ZwangssozialistInnen, sondern von einer demokratischen Regierung, wenn auch ebenfalls mit Sitz in Berlin. Das macht es nicht leichter. Die Mächtigen verweisen lieber auf das Unrecht, das anderswo geschieht.

Wir haben keine Wahl, als den Weg des Widerstands weiterzugehen. Wir wissen, dass auch diese Mauer eines Tages fallen wird. Wir wissen, dass es beim letzten Mal in einer Kirchengemeinde begonnen hat, in Leipzig. Dort saßen Menschen zusammen, die Angst hatten. Die das offene Wort untereinander wieder neu lernen mussten, weil sie wussten dass die Spione des Regimes unter ihnen waren. Sie haben es gewagt – und werden dafür – völlig zu Recht! – heute gefeiert.

27 Jahre hat der „anti-imperialistische Schutzwall“ gestanden. Hunderte Menschen sind an ihm gestorben. Dann war es plötzlich vorbei. Sowohl mit der Mauer als auch mit der Ideologie, die Todesschüsse auf Fliehende zur Verteidigungsmaßnahme umdeuten wollte. Wirklich geglaubt hat das übrigens damals schon niemand.

So gesehen sind 25 Jahre Kirchenasyl in Hamburg ein Grund, voller Zuversicht in die nähere Zukunft zu schauen. Denn es gibt ein höheres Recht als jenes, das in jeweilige Gesetze gegossen wird. Und auf das wollen wir uns hier – und weiterhin – beziehen:

„Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid Fremdlinge gewesen in Ägyptenland." (Lev 19,33+34)

Elias Bierdel wurde Ende Oktober in Sizilien mit Stefan Schmidt endlich vom Vorwurf der Menschenschlepperei freigesprochen. Sie hatten 37 schiffbrüchige Flüchtlinge aus Seenot gerettet! Am 17.11. wurden jedoch zwei tunesische Fischer für eine sehr ähnlich verlaufene Rettung Schiffbrüchiger in Sizilien zu 2 1/2 Jahren Haft verurteilt.



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