Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg
Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit
Gastfreundschaft für Flüchtlinge
Leben in Gemeinschaft
Ilona - ihr Herz hat aufgehört zu schlagen

von Dietrich Gerstner / Oktober 2014

Ilona Gaus starb am Abend des 2. August 2014. Ihr Tod kam für uns als Gemeinschaft plötzlich, aber nicht unerwartet. Wir trauern um sie und erinnern an ihr Leben in unserem Haus.

Schon seit Ilona vor 10 Jahren bei uns eingezogen war, wussten wir um ihr schweres Herzleiden.

Damals war Ilona noch im langsamen Genesungsprozess nach ihrer letzten großen Herzoperation. Sie hatte mehrere Monate im Krankenhaus gelegen und war wochenlang im Koma gewesen. Solch eine Tortur wollte sie nie mehr erleben, wie sie uns später erzählte.

Von ihrer Familie getrennt, lebte sie nun alleine. Ihr Angebot, unsere damals kleinen Kinder Daniel, Elias und Lea-Susanna zu hüten, brachte sie in Kontakt mit unserer Gemeinschaft. Als Ilona eines Tages fragte, ob sie „richtig“ bei uns mitmachen und einziehen könne, war ich persönlich überrascht – an diesen eigentlich nahe liegenden Gedanken hatte ich selbst nie gedacht.

Und trotz ihrer körperlichen Einschränkung fand sie schnell einen festen Platz in unserer umtriebigen Hausgemeinschaft.

Bald war Ilona aus der Wohnküche nicht mehr weg zu denken. Dort war sie zu fast jeder Tages- und Nachtzeit zu finden: Entweder war sie am Kochen oder Einmachen von Marmeladen, an vielen Abenden spielte sie „Tridomino“ mit wem auch immer, der dazu Lust hatte. Sie war stets offen für Gespräche mit MitbewohnerInnen und BesucherInnen. Oder sie lernte eifrig Französisch, denn manche MitbewohnerInnen kamen ja aus dem frankophonen Sprachraum! Und so wurde Ilona über die Jahre zu einer zentralen Ansprechpartnerin für viele MitbewohnerInnen, was sich in der großen Anteilnahme bei der Trauerfeier nochmals zeigte. Für manche wurde sie zur mütterlichen Freundin, zur Vertrauten ihrer Lebensfragen, auch zur kämpferischen Streiterin für ihre Rechte. Genauso war Ilona die selbstverständliche Ansprechpartnerin für viele BesucherInnen, die über das Jahr hinweg in unser Haus kommen. So wurde sie für manche in diesen Jahren wahrscheinlich zu dem „Gesicht“ von Brot & Rosen. Und sie begleitete allerlei interessierte Gruppen bei uns im Haus – von den Konfis bis zu den SeniorInnen.

So wurde Ilonas körperliche Einschränkung irgendwie zu ihrer Gabe – Ilona war einfach immer „da“.

Natürlich führte Ilonas starke Präsenz am Küchentisch hin und wieder auch zu Spannungen, denn in ihrer eigenen Art war sie auch eine „Bestimmerin“, die in vielem wusste, was richtig und was falsch ist – angefangen bei den großen Fragen der Gerechtigkeit in dieser Welt bis hin zur Ordnung der Töpfe und Küchenmesser. Da konnte Ilona schon mal bissig werden, schmale Lippen und einen strengen Blick bekommen. Als Ausgleich war dafür häufig ihr fröhliches Summen von Liedern oder ihr Lachen zu hören. Ilonas Leben bei Brot & Rosen war für uns ein großes Geschenk, wie auch unsere Hausgemeinschaft für Ilona sicherlich ein Lebensgeschenk war. Hier konnte Ilona beides verbinden: Ihre alte Sehnsucht nach der Ferne und ihre mütterliche Seite fanden in unserem internationalen Haushalt eine Heimat.

Und bei aller Einschränkung ging Ilona nach einiger Zeit der Häuslichkeit auch wieder mehr nach „draußen“: Sie vertrat Brot & Rosen bei den verschiedensten Tagungen, sie wurde Teil der Ehrenamtlichengruppe einer benachbarten Gästewohnung für Flüchtlinge, in größeren Abständen war sie auch bei unserer Mahnwache vor der Ausländerbehörde zu finden. Und sie unternahm wieder Reisen, bis nach Benin!

Ilona identifizierte sich inhaltlich mit unserer christlich-anarchistischen Bewegung, freute sich an den vielfältigen Begegnungen mit anderen Mitgliedern aus Catholic Worker Gemeinschaften, studierte Texte von Dorothy Day und übersetzte Peter Maurins „Easy Essays“ über die Philosophie der persönlichen Verantwortung. Hier fand ihr eigener widerständiger Geist einen Anker, Gleichgesinnte, Geistesverwandte.

Im Sommer vor drei Jahren gab es einen ersten tiefen Einschnitt, als Ilona bei einer Reise in die Schweiz sich körperlich übernahm und danach monatelang sehr kraftlos blieb. Nur langsam erholte sie sich davon. Und seit Anfang diesen Jahres war ein neuerlicher Einbruch ihrer Gesundheit zu erleben: Ilona erholte sich kaum von einer zähen Bronchitis, häufig war ihr kalt, und selbst für den kurzen Weg von unserer gemeinsamen Wohnung im Nachbarhaus hinüber in die Gemeinschaftsküche brauchte sie ihren Roller, um weniger Schritte gehen zu müssen.

Ja, der Roller und auch das Elektrofahrrad – bis zuletzt versuchte Ilona trotz ihrer fortschreitenden Herzschwäche kämpferisch dem Leben schwindende Bewegungsräume abzutrotzen.

Und Pläne hatte sie auch noch: So träumte sie zuletzt von einer Clownsausbildung. Ihre langsame, manchmal behäbige Art, meinte sie, würde doch gut zur Clownin passen, die über ihre eigenen Unzulänglichkeiten (und die der anderen!) lachen kann.

So ist es irgendwie auch typisch für Ilona, dass sie am Abend des 2. August nach einem Tag voller Aktivitäten für andere Menschen verstarb. Bis zuletzt Leben in Fülle, ein volles Leben „trotz allem“.

Vielleicht spürte Ilona in den letzten Monaten, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb. An ihrem Bett fanden wir Tagebücher aus den letzten Jahren, die sie jetzt nochmals las. Mit den verschiedensten Menschen führte sie tiefe Gespräche über wichtige Erfahrungen in ihrem bewegten Leben, das sie in jungen Jahren auf dem Landweg bis nach Indien geführt hatte. Mit Vehemenz setzte sie sich für den Abdruck des Liedes „The Little Sparrow“ von Simon & Garfunkel in unserem Sommerrundbrief ein (Nr. 72, Seite 7). Und irgendwie schien Ilona auch ihren Frieden mit manchen Brüchen und Wunden in ihrem Leben zu finden, beschreiben doch alle ihre Begegnungen in Ilonas letzter Lebenswoche so, dass sie heiterer und gelassener schien als sonst.

Am 29. August nahmen wir in einer schönen Trauerfeier mit anschließendem Kaffeetrinken in einem Kreis von ca. 100 Menschen Abschied von ihr. Am Tag darauf wurde Ilonas Asche in der Ostsee bestattet.

Wir sind, gemeinsam mit Ilonas Geschwistern und weiterer Familie dankbar für all die Anteilnahme, Unterstützung und Liebe, die wir an diesem Tag spüren durften. Ihr Platz an unserem Küchentisch bleibt leer, aber in unseren Herzen wird sie uns stets in Erinnerung bleiben.

Dietrich Gerstner für die Brot & Rosen-Hausgemeinschaft



Mittragen

Unsere Gastfreundschaft für obdachlose Flücht­linge wird erst mög­lich durch Spenden und ehren­amtliche Mitarbeit
weiter...

Mitfeiern

Hausgottesdienste, Offene Abende und immer wieder mal ein Fest: Herzlich will­kommen bei uns im Haus der Gast­freund­schaft
weiter...

Mitbekommen

Möchten Sie regel­mäßig von uns hören und mit­bekommen, was pas­siert? Abonnieren Sie am besten unseren kosten­losen Rundbrief
weiter...

Mitleben

Immer wieder fragen uns interessierte Menschen, ob und wann sie uns be­suchen kommen können. Wir freuen uns sehr über dieses Inter­esse.
weiter...