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Menschen zu helfen ist kein Verbrechen!
von Wolf-Dieter Just / Juni 2009 Auf Einladung von Mitgliedern der US-amerikanischen "Sanctuary-Bewegung" reisten sechs Mitglieder der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche" und des Internationalen Versöhnungsbunds im November 2008 nach Tucson (Arizona), um die prekäre Situation an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze kennen zu lernen, sich über gemeinsame Erfahrungen in der Arbeit mit Flüchtlingen auszutauschen und um Möglichkeiten internationaler Zusammenarbeit auszuloten. Im April 2009 fand der Gegenbesuch einer amerikanischen Delegation statt, die unter anderem einen Abend bei Brot & Rosen verbrachten. Die 3.100 Kilometer lange Grenze zwischen den USA und Mexiko wird so häufig überquert wie wohl keine andere: pro Jahr 250 Millionen legale Grenzübertritte - aber auch über eine halbe Millionen illegale. Der Migrationsdruck nach Norden ist hoch, die Ursachen liegen auf der Hand. Es ist eine Grenze zwischen der sog. Ersten und Dritten Welt, zwischen Wohlstand und Armut, Macht und Ohnmacht. Fast die Hälfte der 103 Millionen MexikanerInnen lebt in Armut, viele ohne Arbeit und Lebensperspektiven. Das Lohnniveau liegt bei einem Zehntel von dem der USA. Also versuchen Hunderttausende, in die USA, das gelobte Land, abzuwandern - legal oder illegal. Aber die USA schotten sich - ähnlich wie die EU an ihren Außengrenzen - massiv gegen ArmutsmigrantInnen ab. Die Grenze wird scharf bewacht und ist schwer zu überwinden. Die längste Trennlinie bildet der Rio Grande, der Rest geht überwiegend durch Wüsten und wird durch Mauern und Zäune gesichert. Ein technisch hochgerüsteter Grenzschutz – die Border Patrol – kontrolliert das Gebiet, vor allem in der Nähe großer Städte. MigrantInnen müssen auf unwirtliche Gebiete in der Grenzregion ausweichen, die endlose Sonorawüste. Das ist sehr gefährlich: Zwischen 1998 und 2004 sind hier über 2000 MigrantInnen ums Leben gekommen; im letzten Jahr allein 387. Sie verdursten auf den tagelangen Märschen in der Gluthitze - im Sommer steigen die Temperaturen über 45 Grad, verletzen sich an den Felsenklippen oder erkranken und werden von ihren Schleppern gnadenlos zurückgelassen. Oft sind es Kinder, Ältere oder (schwangere) Frauen. Ihre Leichen werden in der Wüste gefunden. An manchen Orten sehen wir "Schreine", die an die Opfer erinnern: ein Holzkreuz, Steine, auf die die Namen der Verstorbenen gemalt sind, dazu ihre Schuhe, Kleidung und andere Habseligkeiten. Erschütternde Zeugnisse von menschlichen Tragödien – Zeugnisse aber auch eines globalen Unrechtsystems, das die Ressourcen dieser Erde so ungleich verteilt. Wir machen aber auch ermutigende Erfahrungen, lernen Menschen kennen, die dieses schreiende Unrecht nicht hinzunehmen bereit sind. 2004 z.B. wurde die Organisation No More Deaths ("Nicht noch mehr Tote") gegründet, die der Not und dem Sterben an der Grenze ein Ende setzen will - durch praktische Hilfe für MigrantInnen in Not, durch Bildungs-, Öffentlichkeits- und politische Arbeit. Wir fahren mit Freiwilligen von No More Deaths in robusten Geländewagen durch die Wüste. Ich bin bei Ed eingestiegen, einem pensionierten Geologieprofessor, der die Gegend sehr genau kennt. Er hat sie kartografisch erfasst und die schmalen MigrantInnenpfade darin eingezeichnet. Ein Navigationsgerät hilft ihm, die Pfade zu finden. Mit wissenschaftlicher Akribie hat er ein System entwickelt, mit dem er und seine HelferInnen herausfinden, in welcher Region der Wüste gerade MigrantInnen unterwegs sind und möglicherweise Hilfe brauchen. Ed und die Freiwilligen von "No More Deaths" sind regelmäßig dort, verfolgen genau, welche Wege am stärksten von MigrantInnen benutzt werden. Dorthin laufen auch wir und stellen an genau festgelegten Orten Wassergallonen ab, führen Buch darüber, wie viele Gallonen das letzte Mal verbraucht wurden, beschriften die neuen Gallonen mit Datum und Standort. Unsere BegleiterInnen sprechen Spanisch, rufen in die Wüste, fragen, ob da migrantes sind, die Hilfe brauchen; sie seien eine christliche Organisation usw. Wir fahren und laufen zu sieben verschiedenen Stellen, um Wasser abzustellen. Am Schluss kommen wir an der ersten Stelle wieder vorbei: sieben von zehn Gallonen sind bereits verschwunden! MitarbeiterInnen von No More Deaths sind schon oft mit der Border Patrol in Konflikt geraten, haben sogar diverse Gerichtsverhandlungen hinter sich. Aber sie lassen sich dadurch nicht abhalten, Menschen zu retten, Menschenrechte zu schützen. Ihre plausible Antwort auf die Anklagen ist die Parole: "Humanitarian Aid is not a Crime!" (“Menschen zu helfen ist kein Verbrechen!”) Sie haben schon viele Kranke mit Beinbrüchen und schlimmen Fußverletzungen, akutem Wassermangel und Magenkrankheiten gerettet - sie sind ihrem Ziel "No More Deaths" ein Stück näher gekommen! Der Beweggrund für ihr Engagement sind ihre christlichen Überzeugungen. Immer wieder hören wir den Verweis auf Matthäus 25,35ff: "Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen, und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen, und ihr seid zu mir gekommen. Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern und Schwestern, das habt ihr mir getan." Wolf-Dieter Just hat die Kirchenasylarbeit in Deutschland mit aufgebaut und war von 1994 bis 2004 Vorsitzender der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft "Asyl in der Kirche“. Dieser Artikel wurde ebenfalls abgedruckt in „Junge Kirche“ und „SoZ – Sozialistische Zeitung“ |
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