Diakonische Basisgemeinschaft in Hamburg |
Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit Gastfreundschaft für Flüchtlinge Leben in Gemeinschaft |
|
Wider die Diktatur des Eigentums
von Bernd Meyer Stromfeldt / September 2012 Bernd Meyer-Stromfeldt studierte Ökonomie und lebt seit 15 Jahren in der Basisgemeinde Wulfshagenerhütten. Dort ist er in der Geschäftsleitung der Genossenschaft tätig. Seine Gedanken zu einer solidarischen Ökonomie aus christlicher Perspektive wurden zuerst in den Zeitschriften Christ und Sozialist 4/2011 und Junge.Kirche 3/2012 veröffentlicht. Der globale Finanzkapitalismus wankt – und zeigt seine hässliche Fratze. Noch vor weniger als 3 Jahren wirkte das Neoliberale Dogma unantastbar. Der Glaube an das Heilsversprechen durch Deregulierung, Privatisierung und die schöne neue Welt der Finanzmärkte nahm quasi religiöse Züge an. Mittlerweile erleben wir neben der permanenten Zerstörung der Schöpfung und der zunehmenden Verarmung und Marginalisierung eines Großteils der Menschheit eine absurd erscheinende Bedrohung der „Realökonomie“ durch den völlig außer Kontrolle geratenen modernen Moloch „Internationale Finanzmärkte“. Es wird immer deutlicher, dass wir unser (Zusammen-)Leben auf eine neue Grundlage stellen müssen. Mit der Verschärfung der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise wird sich die Frage neu stellen: Welches Wirtschaftssystem wollen wir eigentlich? Auch als Christen fragen wir: Was haben wir zu dieser Situation beizutragen? Wie können wir aus der Bibel Impulse für die aktuellen Herausforderungen bekommen? Welches Zeugnis geben wir mit unserem Leben? Biblische Perspektiven – eine Kontrastgesellschaft Sicherlich ist es wenig hilfreich, von der Bibel fertige „Rezepte“ zur Lösung der aktuellen Krise zu erwarten, und eine unreflektierte, aus dem Zusammenhang gelöste Übertragung einzelner Gebote (wie dies z.T. mit dem Zinsverbot geschieht) wäre naiv. Bei Berücksichtigung der Bedingungen, unter denen die Biblischen Texte entstanden sind und auf die sie bezogen waren (antike Gesellschaftsordnung, soziale, ökonomische und kulturelle Bedingungen), können wir jedoch versuchen die Zielrichtung der biblischen Ansätze zu aktualisieren, und so interessante und durchaus radikale Lösungsansätze für heute gewinnen. Bereits im alten Israel war der Grundauftrag Gottes an das werdende Volk Israel die Herauslösung aus den imperialen Strukturen (Auszug aus Ägypten) und die Bildung einer egalitären Kontrastgesellschaft. In der Auseinandersetzung der im Hochland Palästinas lebenden Stämme mit den kanaanitischen Stadtstaaten des Gebietes und den angrenzenden imperialen Großreichen entstand die im Alten Testament festgehaltene Gründungsgeschichte des Volkes Israel Diese beschreibt den Kampf um Verwirklichung und Aufrechterhaltung dieser an Gerechtigkeit orientierten Sozialordnung – wider die Bedrohungen von außen (umliegende Imperien) und von innen (Machtstrukturen, Hierarchiebildung, ökonomische Ungleichheit usw.). Jesus ist auch gekommen, um den Weg zu dieser gerechten Sozialordnung wieder frei zu machen. Seine radikale Kritik der Machtverhältnisse und der Anstoß zu einer subversiven und gewaltfreien Befreiungsstrategie mündete in der Entstehung der urchristlichen Gemeinden, in denen diese Vorstellungen einer Kontrastgesellschaft vor allem im städtischen Bereich neu kontextualisiert wurden. Ähnlich wie die ersten Gemeinden stehen wir heute vor der Aufgabe, diesen Grundauftrag Gottes für die Zeit des Spätkapitalismus neu zu aktualisieren und zu leben. Wir müssen uns also fragen: Wodurch, insbesondere durch welche Zielvorstellungen, war die damalige „Kontrastgesellschaft“ gekennzeichnet? Und: wie könnte das heute aussehen? Anhand einiger Gedanken zum alttestamentlichen Bodenrecht und den Sabbat-/Jubeljahr Geboten soll dies exemplarisch verdeutlicht werden. In der Antike war der Boden die einzig wesentliche produktive Form von Kapital. Die agrarisch geprägten Feudalgesellschaften der imperialen Systeme konzentrierten dieses Vermögen zunehmend auf eine winzige Gesellschaftsschicht, während die breite Masse im Elend lebte. Um eine gerechtere Gesellschaftsordnung zu realisieren, spielten also Besitz und Verteilung des Bodens die zentrale Rolle. An diesem Punkt setzte das biblische Bodenrecht an. Es bestimmte Grund und Boden als Eigentum Gottes, welches nicht dauerhaft verkauft werden konnte, sondern immer wieder an die ursprünglichen Besitzer zurückgegeben werden musste und so eine dauerhafte Subsistenzwirtschaft gewährleistete. Dieses Recht wurde von weiteren Maßnahmen gegen Vermögenskonzentration und Ausbeutung ergänzt (z.B. Zinsverbot, Regelungen zur Schuldsklaverei- vgl. Lev. 25). Wir haben es also mit einer Eigentumsordnung zu tun, die Privateigentum vermeidet und so eine Eigentumskonzentration verhindert, ohne dabei in ein Staatsmonopol bzw. eine Zentralverwaltungswirtschaft zu geraten. Wenn wir heute tatsächlich eine „andere Welt“ für nötig halten, werden wir die Grundpfeiler unserer Sozial- und Wirtschaftsordnung in Frage stellen und dabei radikal neu über Eigentumsformen nachdenken müssen. Vielleicht hilft uns dabei eine Beschäftigung mit der Bibel und ihrer Vision einer Gesellschaft ohne Privateigentum. Neue Eigentumsformen Auch heute finden wir Vermögen in einem perversen Ausmaß ungleich verteilt: Die arme Hälfte der Weltbevölkerung besitzt weniger als 1% des Weltvermögens, die reichsten 10% besitzen 85% dieses Vermögens – mit einer klaren Tendenz zur Verschärfung des Problems. Vielleicht gelingt es der Occupy-Bewegung mit ihrem Slogan „99 Prozent“, dies noch bewusster zu machen. Bezüglich des Produktivkapitals haben wir also einen in Teilen mit der antiken Situation vergleichbaren Prozess – damals Herausbildung von Großgrundbesitz, heute von sehr großen Vermögen. Wir befinden uns heute in einem Dauerkonflikt zwischen den Eigentumsrechten einer kleinen Minderheit und den Grundrechten fast aller Menschen. Wie könnte heute der Weg in eine Gesellschaftsordnung aussehen, die sowohl Privateigentum als auch die Ineffizienz und Machtproblematik der Zentralverwaltungswirtschaft vermeidet? Eine gerechtere Wirtschaftsordnung kann nicht auf Basis einer fertigen „Blaupause“ umgesetzt werden. Zum einen ist die Erwartung einer derartigen Revolution unrealistisch, zum anderen waren die Erfahrungen (z.B. in den so genannten realsozialistischen Systemen) nicht gerade ermutigend. Die Risiken sind hoch, bei einem derartigen Versuch in einem System zu landen, das noch schlechter als das gegenwärtige ist. Aussichtsreicher scheint es mir, auf zahlreiche, miteinander wechselwirkende Veränderungen sowohl auf der Ebene der Wirtschaftssubjekte als auch der Rahmenbedingungen zu setzen und dann auf einen systemischen „Kipppunkt“ zu hoffen. Dabei ist zu beachten, dass gelebte Solidarität desto schwieriger wird je größer die Bezugsgruppe ist. Im biblischen Bodenrecht gehört das Land Gott und ist im Besitz auf die Stämme, Sippen und Familien verteilt. Heute könnten neue kollektive Eigentumsformen auf Ebene der Wirtschaftssubjekte (also der Betriebe und Verbraucher) der Solidarität einen überschaubaren Rahmen geben. Ausgehend von der Frage der privateigentumsfreien Wirtschaftssubjekte müsste diskutiert werden, wie makroökonomische Rahmenbedingungen aussehen könnten und wie ein Transformationsprozess hin zu einer derartigen Wirtschaftsordnung gestaltet werden könnte. Denkbar wäre hier z.B. eine allmähliche „Vergenossenschaftung“ konsumnaher Branchen und von Branchen mit zentraler gesellschaftlicher Bedeutung wie Finanzen, Energieversorgung, Telekommunikation. In welcher Richtung diese neuen Eigentumsformen auf der Mikroebene liegen könnten, möchte ich im folgenden an bestehenden praktischen Beispielen verdeutlichen. Selten beachtet wird die Firma Bosch: auf den ersten Blick ein ganz normaler Global Player, aber mit einer interessanten gesellschaftsrechtlichen Struktur: „Die Kapitalanteile der Robert Bosch GmbH liegen zu 92 Prozent bei der gemeinnützigen Robert Bosch Stiftung GmbH. Die Stimmrechte liegen mehrheitlich bei der Robert Bosch Industrietreuhand KG; sie übt die unternehmerische Gesellschafterfunktion aus.“ (Auszug Startseite Bosch.de) Dieses Beispiel verdeutlicht, dass „Erfolg“ nicht zwingend mit Privateigentum zusammenhängt - und eine gemeinnützige Rückbindung möglicherweise sogar eine langfristigere Perspektive eröffnet. Die Gewinne fließen im wesentlichen an die Stiftung und werden gemeinnützig verwendet oder sie verbleiben im Unternehmen, die Stimmrechte übt die Treuhand KG aus. Das Beispiel Bosch regt zu Gedanken für einen ersten Transformationsschritt der Wirtschaft im großindustriellen Bereich an. Ausbaubar scheint mir die demokratische Rückbindung – wer bestimmt letztlich in der Treuhand KG und nach welchen Kriterien? Ein echtes volkseigenes Unternehmen finden wir in der Schweiz: den Genossenschaftsverbund MIGROS - mit über 80000 Beschäftigten die größte Handelsgruppe der Schweiz. Der Unterschied zu den in Deutschland bekannten (und durchaus vorbildlichen) Genossenschaften liegt darin, dass jedeR kostenlos Genossenschaftsmitglied werden und so Einfluss auf die Unternehmenspolitik nehmen kann. Die Struktur ist demokratisch, föderal und sehr vorbildlich. Wir haben es also tatsächlich mit einem seit über 50 Jahren hervorragend funktionierenden Zusammenhang zu tun, auf den alle Schweizer äusserst stolz sind. (fragen Sie den nächsten Schweizer, den Sie sehen!). Die MIGROS Gruppe bietet der Schweizer Bevölkerung nicht nur seit Jahrzehnten qualitativ hochwertige Lebensmittel, sondern sie war auch immer wieder richtungsweisend in Bereichen der Verbraucherrechte sowie der sozialen und ökologischen Produktionsbedingungen der von ihr gehandelten und z.T. erzeugten Produkte – und dies alles als Genossenschaft im Eigentum des Schweizer Volkes! Im Bereich der Banken und Versicherungen tut sich durch die Finanzkrise ohnehin die Frage auf, welchen Einfluss und Gegenwert die Bürger als Gegenleistung für die Milliardengarantien und wohl auch -kosten eigentlich bekommen. Wir haben in Deutschland ein sehr gut funktionierendes genossenschaftliches Bankenwesen. Bei der nächsten Stützung von Großbanken könnten diese zunächst verstaatlicht, zerschlagen und dann in Genossenschaften überführt werden, alternativ wären auch Beteiligungsgesellschaften unter Kontrolle der Bürger denkbar. Ausführlicher möchte ich auf die Lebensgemeinschaft in der ich lebe hinweisen: die Basisgemeinde Wulfshagenerhütten. Hier sind neben den ökonomischen auch soziale und kulturelle Aspekte integriert, wodurch mehr von einer „Kontrastgesellschaft im Kleinen“ sichtbar werden kann. In der Basisgemeinde Wulfshagenerhütten leben knapp 60 Menschen in Gütergemeinschaft – der wohl direkteste Weg in eine Sozialordnung ohne individuelles Privateigentum. Dieser „christliche Kommunismus“ hat eine lange Tradition. Bereits in der Urchristenheit wurde diese Vision des Teilens und Zusammenlebens als Zentrum einer neuen Lebenskultur proklamiert. (vgl. z.B. Apg 2,44: Alle Gläubiggewordenen hielten treu zusammen und hatten alles gemeinsam.) Diese Lebenskultur war bzw. ist als „Reich Gottes“ bereits gegenwärtig. In der Geschichte der Christenheit gab es immer wieder Aufbrüche, die an diesen Ursprungsauftrag anknüpfen – häufig verbunden mit einem radikalen Friedenszeugnis, so z.B. die Hutterischen Brüder, die seit einem halben Jahrtausend in Gütergemeinschaft und unter völliger Verweigerung von Kriegsdienst und Kriegssteuern leben. In unserer heutigen, kapitalistisch durchstrukturierten Welt sind diese Ansätze dringender denn je. Seit über 20 Jahren stellen wir in einer inzwischen recht großen (genossenschaftlich verfassten) Werkstatt Holzpiel- und Bewegungsgeräte her. Um unsere Arbeit Kindern aus allen sozialen Schichten (also nicht nur den privilegierten) zugute kommen zu lassen, verkaufen wir vor allem an Kindergärten. Es ist eine schöne und spannende Herausforderung, immer wieder neu zu prüfen wie in einem völlig „normalen“ rechtlichen und ökonomischen Umfeld praktische Entscheidungen an der Ursprungsvision ausgerichtet werden können. So z.B.: > bei der Personalpolitik im Geschäftsbetrieb - wir beschäftigen mittlerweile ca. 20 „externe“ Mitarbeiter - in der Mehrzahl Menschen die längere Zeit arbeitslos waren, die älter sind oder sprachlich bzw. von ihrer Belastbarkeit her eingeschränkt sind Es ist ein Weg zwischen Utopie und Machbarkeit, der mir persönlich große Freude macht. Offensichtlich sind die oben geschilderten Gedanken zu einer alternativen Wirtschafts- und Sozialordnung utopisch. Aber als es vor über 30 Jahren mit unserer Basisgemeinde begann, war dies auch häufiger Kommentar vieler Freunde und Beobachter. Heute können wir mit unserer 30jährigen Lebenspraxis konkret Anstöße geben und Mut machen, eine gerechtere Welt zu suchen – sie ist möglich! |
MittragenUnsere Gastfreundschaft für obdachlose Flüchtlinge
wird erst möglich durch Spenden
und ehrenamtliche Mitarbeit
weiter... MitfeiernHausgottesdienste, Offene Abende und immer wieder mal
ein Fest: Herzlich willkommen bei uns
im Haus der Gastfreundschaft
weiter... MitbekommenMöchten Sie regelmäßig von uns hören
und mitbekommen, was passiert?
Abonnieren Sie am besten unseren kostenlosen Rundbrief
weiter... MitlebenImmer wieder fragen uns interessierte Menschen,
ob und wann sie uns besuchen kommen können.
Wir freuen uns sehr über dieses Interesse.
weiter... |