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Das Leben wieder aufbauen - gibt es eine Chance?
von Christina Dwenger / Juni 2012 Dieser Artikel einer befreundeten Journalistin über unseren somalischen Mitbewohner Hussein wurde zunächst in der April/Mai-Ausgabe der „evangelisch-lutherischen kirchenzeitung für bramfeld und steilshoop“ veröffentlicht. Sie sitzen am Esstisch bei Brot & Rosen und lachen miteinander. Der 30-jährige Hussein (Name von der Redaktion geändert) und der zweijährige Malte. Das ist ein Stück Normalität und Geborgenheit, die bis November letzten Jahres für den Mann unvorstellbar waren und es eigentlich auch noch sind. Denn während er hier am Tisch sitzt, weiß er, dass seine Familie in Lebensgefahr schwebt. Er weiß, dass er seinen eigenen Sohn niemals mehr lachen hören wird. Denn seine Stimme ist verstummt. Er wurde in Somalia auf dem Schulweg erschossen. Einfach so. Fünf Jahre alt. Hussein Ibrahim Mahmoodis Augen haben Grauenhaftes gesehen. Seine Seele und sein Körper haben Unvorstellbares ertragen. Als er neun Jahre alt war, brach in Somalia der Bürgerkrieg aus. Seit dem wird sein Leben immer wieder zerstört. Als Ältester von acht Geschwistern unterstützte er seine Eltern. Er ging Schuhe putzen. Dabei wurde er nicht nur von den Kunden betrogen, gedemütigt und geschlagen, er sah auch, wie sie erschossen wurden. Einmal verließ er ein Restaurant mit Schuhen eines Kunden. Ein bewaffneter Kämpfer kam herein und erschoss alle Menschen in dem Raum. Einfach so. Und Hussein hat sie gehört, die Schüsse, die Schreie der Menschen und er hört sie noch heute. Die Familie wurde obdachlos. Ein Mann einer anderen Volksgruppe beanspruchte ihr Haus und setzte die Familie vor die Tür. So einfach geht das im Bürgerkrieg. Die Familie erlebte noch mehr Gewalt, da der häusliche Schutz fehlte. Jahre später bekamen die Eltern das Haus zurück und bauten eine neue Existenz auf. Hussein heiratete und das Ehepaar bekam zwei Kinder. Doch der Mann, der sie aus ihrem Haus vertrieben hatte, schwor Rache. Rache an dem ältesten Sohn Hussein. Der junge Familienvater lebte fortan im Untergrund und wurde doch gefasst und gefoltert. Er sollte einen qualvollen Tod sterben. Dass er fliehen konnte, ist viel Glück und seiner Überzeugungskraft zu verdanken. Jetzt war klar: Er musste Somalia verlassen. Am 7. Januar 2008 verabschiedete er sich unter großen, seelischen Schmerzen von seiner Familie. Da war sein Sohn ein Jahr alt. Wenn Hussein von den grausamen Erlebnissen erzählt, dann wird seine Stimme etwas leiser. Aber sie bleibt immer fest und klar. Das was er gesehen hat, das kann er weiter geben. 150 Schüler – von einer Bombe zerstört, 30 Menschen – von Maschinengewehren erschossen. Ein Mann hackt ungestraft die Hände seiner Frau ab. So viel Kontrolle und so viel Selbstdisziplin sind notwendig, bei der Erinnerung nicht wahnsinnig zu werden. Eine Seele – und sei sie auch noch so stark – kann kaum eines dieser Erlebnisse ertragen. Auch die Flucht aus Somalia ist voller unmenschlicher Ereignisse. Ein Beispiel: Ein Jahr verbrachte er in einem Gefängnis in Bengasi, verhaftet weil er sich illegal aufhielt. Ein Jahr Folter, Gewalt, Hunger und Angst. 40 Personen in einem kleinen Raum. Tag und Nacht. Immer wieder starben Menschen in seiner Zelle oder wurden verrückt. Ein Menschenleben war hier weniger Wert als das einer Spinne und konnte ebenso leicht zertreten werden. Die Flucht bedeutete zwei Jahre lang ein Leben in der Illegalität. Kein Ort, um wirklich auszuruhen. „Die Gedanken an meine Familie und mein Glaube gaben mir Kraft durchzuhalten“, erzählt Hussein. Er landete schließlich auf Malta. Dort sprach man ihm humanitären Schutz zu. Doch das Leben auf Malta ist perspektivlos. „Ich wollte lieber zurück zu meiner Familie“, erzählt er. Aber Hussein durfte nicht zurück in die Hölle Somalias. Zu gefährlich. Husseins Kraft ist aufgebraucht. Seine Seele und sein Körper brauchen dringend medizinische Unterstützung. Die kann er auf Malta nicht bekommen. Aber hier in Hamburg. Er bemüht sich, mit anwaltlicher Hilfe, humanitären Schutz auch in Deutschland zu bekommen. Und während Hussein gegen bürokratische Mühlen antritt, wird in Somalia weiter gekämpft und gemordet. In dem Gefecht, in dem sein Sohn erschossen wurde, wurde auch seine siebenjährige Tochter von Kugeln getroffen und schwer verwundet. Lange stand ihr Leben auf des Messers Schneide, doch sie hat es geschafft. Frau und Tochter warten in Somalia. „Was soll ich hier, wenn ich nichts für sie tun kann. Ich habe hier etwas zu essen, doch kann mir das schmecken, wenn ich weiß, dass meine Familie in Lebensgefahr schwebt?“, fragt er. Er will sie beschützen und bei ihr sein, doch seine Rückkehr käme einem Todesurteil gleich. Hussein kann sich nicht mehr vorstellen, dass seine Flucht einen Sinn hat. Er kann sich nicht vorstellen, dass alles vielleicht irgendwann einmal gut ausgehen kann und er seiner Familie ein sicheres Leben aufbauen kann. Aber er sagt auch: „Step by step.“ Das letzte Interview bei der Ausländerbehörde lief sehr schlecht für ihn. Er soll Hamburg binnen fünf Tagen verlassen. Aber Hussein kämpft weiter. Doch selbst wenn alles gut gehen sollte, kann es Jahre dauern, bis er Frau und Tochter nachholen kann. Erst muss sich sein Status hier gefestigt haben. Und auch das ist mit einem Fragezeichen verbunden. Sein Glaube hat ihn immer wieder aufgebaut. Und auch die Menschen, mit denen er bei Brot & Rosen zusammenlebt geben ihm immer wieder Kraft und Geborgenheit, geben ihm das Gefühl ein Mensch zu sein. „Ich bin dankbar, dass sie mich aufbauen, wenn ich nicht mehr kann“, sagt er. Und wenn er Kraft hat, dann berichtet er von dem Unrecht, das er gesehen hat. Dann macht er sich stark für sein Land und die Menschenwürde. Und vielleicht schreibt er einmal über alles. Auch das gäbe seinem Leben einen Sinn. Nachtrag der B&R-Redaktion: Hussein M. wurde Mitte März von Hamburg nach Braunschweig umverteilt. Allerdings ist das niedersächsische Innenministerium der Meinung, dass die Ausländerbehörde Hamburg für sein Aufenthaltsverfahren zuständig sei. So wartet Hussein skandalöserweise seit mehreren Monaten auf eine Entscheidung der bundesdeutschen Behörden darüber, wer überhaupt zuständig sei für sein Schutzbegehren! |
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